Ueber den Himmel hinaus - Roman
Schlafzimmer noch Babygeschrei zu hören, aber wenigstens eines schien eingeschlafen zu sein. Schließlich ging die Tür auf, und Lena kam mit einem quäkenden blauen Bündel im Arm ins Zimmer. Sie trug einen Pyjama - immer noch oder schon wieder?, fragte sich Natalja - und wirkte erschöpft. Zerzauste Haare, hängende Schultern, Ringe unter den Augen.
»Er will einfach nicht einschlafen«, stöhnte sie. »Ich glaube, er hat immer noch Hunger.«
»Schon gut, Lena«, sagte Sofi über den Lärm hinweg. »Setz dich zu uns; er kann ja mitfeiern.«
Sie deutete auf die Flasche Bollinger-Champagner, den Natalja auf Ruperts Empfehlung hin gekauft hatte, und die drei leeren Gläser auf dem Sofatisch. Daneben stand ein Teller Sakuski : eingelegte Pilze und Gurken, Apfelspalten, Roggenbrot und Kolbaso - fette Schweinswürstchen, die Natalja nicht anzurühren wagte.
Lena schlurfte zum Sofa, setzte sich und zerrte den Saum ihres Oberteils hoch. Sekunden später saugte das Baby friedlich.
»Ich bin so müde«, stöhnte Lena.
»Wenn ihr erst bei Wendy wohnt, wird alles besser«, tröstete Sofi sie. »Sie wird dir mehr Arbeit abnehmen als wir.«
»Seht euch das an, er schläft. Er wollte bloß saugen.«
»Besorg ihm doch einen Schnuller.«
»Wendy sagt, Schnuller sind schlecht für die Zähne.«
Natalja hatte Sams geschwätzige, herrische Mutter im Krankenhaus kennengelernt und fragte sich, wie es kam, dass diese Tyrannin einen derart liebenswürdigen Sohn hatte. »Er hat doch noch gar keine Zähne.«
»Dann eben für den Mund.« Lena bettete ihr selig schlummerndes Söhnchen auf ihren Schoß. »So ist’s brav. Schlaf, mein Kleiner. Morgen geht es auf eine große Reise.«
»Die anderen Passagiere im Zug werden begeistert sein«, scherzte Natalja und griff nach dem Champagner.
Lena entging die Ironie in ihrer Stimme völlig. »Bestimmt. Sie sind wirklich süß, nicht?«
Sofi hob die Augenbrauen und grinste Natalja an.
Diese tätschelte ihrer Schwester die Hand. »Ja, ja, du auch. So, und jetzt her mit dem Schampus.«
»Warte, Natalja …«
Zu spät. Der Korken knallte, Klein Matthew riss die Augen auf und begann zu brüllen. Lena erhob sich und wiegte ihn in den Armen, während sie im Zimmer auf und ab ging. Natalja schenkte derweil ein. Sie brauchte dringend ein Schlückchen zur Beruhigung ihrer strapazierten Nerven.
»Hier, Sofi. Wir müssen doch anstoßen, das ist schließlich der letzte Tag in unserer gemeinsamen Wohnung.«
Lena legte sich das Baby wieder an die Brust, und sofort trat eine wohltuende Stille ein. »Seht ihr, sobald er meine
Brustwarze im Mund hat, gibt er Ruhe.« Sie nahm ein Glas Champagner von ihrer Schwester entgegen.
Natalja lachte und hob ihr Glas. »Typisch Mann. Auf uns.«
»Auf uns«, wiederholte Sofi.
»Auf uns.« Lena nippte an ihrem Champagner, dann stellte sie ihn ab.
»War das etwa schon alles?«
»Wendy sagt, ich soll keinen Alkohol trinken, weil er in die Muttermilch gelangt.«
»Ist doch gut, davon werden die Kleinen schläfrig.«
»Vielleicht nehme ich noch einen Schluck. Er ist wirklich gut.« Sie griff nach ihrem Glas, und dann machte sie sich mit Sofi über die russischen Vorspeisen her. Natalja hätte sich zu gern eine der eingelegten Gurken genehmigt, kombiniert mit etwas Käse und Brot, aber sie wagte es nicht. Vor allem Käse war tabu. Wenn sie sich in drei Wochen für das Shutter- Fotoshooting nackt präsentierte, durfte sie kein Gramm Fett zu viel auf den Hüften haben. Da sie jedoch wusste, dass sich Sofi und Lena deswegen aufregen würden, legte sie ein paar Häppchen auf ihren Teller und stocherte mit der Gabel darin herum, damit es wenigstens so aussah, als hätte sie etwas gegessen. Bei Rupert war es viel einfacher; er war auf ihrer Seite. Er wusste, wie wichtig es in der Fernsehbranche war, dünn zu sein.
»Ich glaube, jetzt kann ich ihn hinlegen.« Lena löste Matthew von ihrer Brust und erhob sich vorsichtig. »Kein Korkenknallen mehr, Natalja.«
Ihre Schwester sah ihr nach. Sie hatte Fotos von Stars gesehen, die eine Woche nach der Geburt ihrer Kinder elegant und schlank wie eh und je aussahen. Lena dagegen hätte gut und gern noch im sechsten Monat schwanger sein
können. Bei Natalja wäre es bestimmt nicht anders; sie hatten ähnliche Erbanlagen. Noch ein guter Grund, keine Kinder zu bekommen. Rupert war das bestimmt nur recht. Er war über fünfzig, zu alt für Kinder. Sie leerte ihr Glas und verdrängte den Gedanken. Alter war nur eine Zahl. Es
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