Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ueber den Horizont hinaus - Band 1

Ueber den Horizont hinaus - Band 1

Titel: Ueber den Horizont hinaus - Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Lenz
Vom Netzwerk:
wie diese, kannte er keinen Frieden, nicht jetzt, nicht an einem Abend wie diesem und vielleicht nie wieder.
    Olaf schlug die Augen auf und erhob sich langsam, um sich auf den Abend vorzubereiten, einen letzten Blick auf die Unterlagen zu werfen, die ihm empfohlen worden waren und sein äußeres Erscheinungsbild auf Vordermann zu bringen.
    Die Geschäftsbeziehungen der Firma kannte er inzwischen in und auswendig, die Kontakte und Abläufe, in denen er sich zu recht zu finden hatte, waren ihm in Fleisch und Blut übergegangen.
    Er duschte ausgiebig, wusch sich den Staub und Schmutz der Reise ab. Und als er unter dem Wasserstrahl stand und fühlte, wie sein Körper sich aufwärmte, bemühte Olaf sich konsequent nicht an Christian zu denken.
Nicht hier, nicht jetzt, seine Gedanken entgleisen zu lassen, wie es ihm manchmal bereits passiert war, an Abenden, in Nächten, in denen die Erschöpfung zu groß gewesen war, als dass er noch zur Rationalität in der Lage gewesen wäre.
    Denn über kurz oder lang bekäme er Christian zu Gesicht und er würde sich zurückhalten müssen, um den Jungen nicht spüren zu lassen, wie stark er ihn wirklich vermisst hatte, wie sehr er sich danach gesehnt hatte, ihn wiederzusehen.
    Christian war trotz allem noch ein unschuldiges Kind, seine Welt sollte erfüllt sein von den Spielen Heranwachsender. Er sollte sich ausprobieren und erfahren dürfen, ohne die Belastung eines Bruders mit sich zu tragen, der seine eigene Gefühlswelt nicht unter Kontrolle behalten konnte.
    Olaf kämmte sein Haar zurück und fixierte es. Er schloss den oberen Kragenknopf seines gestärkten Hemdes und band sich in erprobten Bewegungen die Krawatte um.
    Für einen Moment dachte er daran, dass Weihnachten war und was dieser Feiertag für andere Familien bedeutete. Doch rasch gelang es ihm, die Vorstellung von sich fortzuschieben, zurückzufinden in die Gegenwart.
    Er strich seinen Blazer glatt und verließ das Zimmer. Die Lampen brannten bereits, die Dunkelheit war hereingebrochen.
    Im Haus hatte sich merkwürdige Stille ausgebreitet, Zeichen dafür, dass die hektischen Vorbereitungen beendet und die gespannte Zeitspanne vor Ankunft der ersten Gäste angebrochen war.
    Langsam ging Olaf die Treppe hinunter, unschlüssig, wohin er sich wenden sollte. Doch die Entscheidung wurde ihm abgenommen, als ein Wagen vorfuhr und kurz darauf die Eingangstür sich öffnete.
    Herein stolperte Christian, angezogen wie Olaf selbst, bereits in Anzug und Krawatte. Allerdings wirkte alles an ihm provisorisch, verdreht, verrückt und schief.
    Seine Krawatte hing lose herab, sein Hemd über der Hose und seine Jacke wirkte verknittert.
    Christians Haar war gewachst und stand unordentlicher denn je nach allen Seiten ab.
    Olafs Herz machte einen Sprung, als Christians Blick sich ihm zuwandte und er über das ganze Gesicht zu strahlen begann.
    „Olaf, du bist schon da…“, brachte er mühsam heraus und Olaf registrierte umgehend die verschleppten Silben, die abgebrochenen Konsonanten und dann auch den abwesenden Blick des Jüngeren.
    Und als er einen Schritt auf ihn zuging, strömte ihm der unverkennbare Geruch nach Alkohol entgegen.
Hannibal folgte Christian in das Haus, schloss die Tür mit einem wütenden Laut und stieß Christian dann in den Rücken, so dass er zwei Schritte vorwärts taumelte, direkt auf Olaf zu.
    „Natürlich ist Olaf schon da“, zischte er, offensichtlich bemüht, seinen Ärger in Zaum zu halten. „Auf deinen Bruder ist Verlass.“
    Olaf fing Christian auf, stützte ihn dann, während der Jüngere dankbar zu ihm hochsah, einen Ausdruck der Liebe in den Augen, den Olaf kaum ertragen konnte.
    „Ich kümmere mich darum“, sagte er rasch und trat gleichzeitig vor Christian, als könnte er ihn auf diese Weise beschützen.
    „Aber beeilt euch.“ Hannibal bebte vor Wut, ging dann an Olaf vorbei, sah Christian an, der sich merklich bemühte, so aufrecht es ihm möglich war, den Blick zu erwidern.
    „Das wird ein Nachspiel haben“, drohte Hannibal. „Ich habe dir mehr als deutlich gemacht, dass ich dir nicht gestatte, dich mit diesen Leuten zu treffen.“
    Olaf legte hastig den Arm um Christian und führte ihn in Richtung Treppe. Über seine Schulter sah er Hannibal bittend an.
    „Es sind doch Feiertage, Paps.“
    „Regeln sind Regeln“, stieß Hannibal hervor. „Ich dulde keine Verstöße. Olaf, das weißt du sehr gut.“
    Olaf spürte, dass eine Antwort keinen Sinn machte und so führte er Christian

Weitere Kostenlose Bücher