Ueber den Horizont hinaus - Band 1
Augen Christians sah, während er dessen Krawatte band. Er strich sie liebevoll glatt, bevor er die Augen senkte.
„Alles klar“, sagte Olaf und fühlte sich mit einem Mal müder als zuvor, erschöpfter als in dem Moment seines Eintreffens. Nicht auszudenken, dass der Hauptteil des Abends noch vor ihm lag.
Schlanke Finger strichen plötzlich über seine Schläfe. „He“, sagte Christian leise und ein wenig zu nah an Olafs Gesicht. „Du siehst fertig aus, so richtig fertig.“
Olaf seufzte. „So fühle ich mich auch“, gab er zu. „Das alles… die letzten Wochen… waren etwas viel.“
„Dann bleiben wir hier oben“, schlug Christian vor und Olaf entdeckte eine Spur von Ernsthaftigkeit in seinen Worten. Er hob die Augenbrauen, als Christian sein Haar glatt strich. „Im Ernst“, wiederholte er. „Lass uns oben bleiben. Was sollen sie tun?“
Olaf schloss die Augen, fühlte die zarte Berührung von Christians Fingern.
„Das geht nicht“, antwortete er dann leise, zu leise, um nicht die Zerbrechlichkeit des Augenblicks zu stören.
„Ich muss… wir müssen…“
Christian zog seine Hand zurück, nickte dann zögernd. „Das müssen wir wohl“, murmelte er.
Olaf holte tief Luft, strich entlang Christians Oberarm, verwandelte die Bewegung dann in ein kräftiges Klopfen.
„Also gut“, sagte er und vermied absichtlich den Blick des Jüngeren. „Lass uns gehen!“
Als sie heruntergingen, wurden die Brüder von den prüfenden Augen ihrer Eltern empfangen, die bereits dekorativ zum Empfang der Gäste bereit standen.
Helena strahlte pflichtschuldig, als sie näher kamen, streckte ihre Hände nach Olaf aus. „Mein Junge!“, sagte sie. „Wie wunderbar, dass du es einrichten konntest.“
Olaf ließ sich von ihr auf beide Wangen küssen, empfing dann einen kräftigen Händedruck seines Vaters, dessen Blick allerdings währenddessen auf Christian ruhte, der betreten neben ihnen stand und auf seine Füße sah.
„Ich freue mich auch“, bemühte Olaf sich zu versichern und konnte es nicht verhindern, dass er es Hannibal gleichtat und zu Christian herübersah.
Wie auf ein plötzliches Kommando hin ließen Vater und Sohn sich los und Olaf trat einen Schritt zurück, näher an Christian heran.
Hannibals Augen verengten sich und wieder spürte Olaf das Bedürfnis den Jüngeren zu beschützen, auf eine ihm selbst unerklärliche Art für diesen in die Bresche zu springen.
Der Gedankengang erledigte sich, als die ersten, bereits eingetroffenen Gäste, die soeben mit ihren Aperitifs versorgt worden waren, sich in offensichtlicher Feiertagslaune der nun vollständigen Familie zuwandten.
Es lief, wie es laufen sollte. Olaf setzte sein gewinnendstes Lächeln auf, von dem er wohl wusste, dass es seine Wirkung kaum verfehlte, und ließ sich von einem Gast zum anderen reichen, gab seine Vorstellung als der Hoffnungsträger der Familie.
Die Gäste trafen nun Schlag auf Schlag ein, der Empfang verwandelte sich in eines dieser Ereignisse, für das die Familie in ihrer Funktion als leitende Institution eines bedeutenden Unternehmens berühmt war.
Olaf fand sich wieder im mechanischen Reagieren auf die Freundlichkeiten, die Vorstellungs- und Testgespräche, mit denen er sich konfrontiert sah.
Von Zeit zu Zeit suchte er Christian mit seinen Blicken, fand ihn zumeist allein in einer Ecke stehen, den Kopf gesenkt. Seine Körpersprache erzählte von stummer Duldung und nicht enden wollender Langeweile.
Gleichzeitig von einer Ablehnung, die den Gästen zu suggerieren schien, dass sie besser einen Bogen um den Jungen machen sollten. Teenager Bockigkeit verströmte Christian mit jedem Atemzug und Olafs Herz krampfte sich zusammen, wenn er die Konsequenzen bedachte, die sich in den ärgerlichen Blicken seiner Eltern bereits ankündigten.
Nach den üblichen Floskeln, Vorstellungsritualen und Segenswünschen begab die Gesellschaft sich zum Mahl, welches in gewohnter Perfektion stattfand, begleitet von den üblichen Tischgesprächen, nichtssagendem Geplänkel, das keinerlei Emotionen hochkommen ließ.
Olaf saß Christian gegenüber und hin und wieder trafen sich ihre Blicke. Olaf wünschte, er könnte den Jüngeren berühren, seine Hand auf seinen Arm legen und ihm versichern, dass der Abend ein Ende nehmen würde, dass er nichts zu befürchten habe.
Doch gleichzeitig war er sich der strengen Augen seines Vaters bewusst, der ihn wieder und wieder musterte, der sie beide musterte und dessen Stirn trotz der gespielt
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