Ueber den Horizont hinaus - Band 1
senkte seinen Blick. „Was möchtest du denn tun?“, fragte er, zu sehr verunsichert, um sich seine Hilflosigkeit anmerken zu lassen.
Christian löste seine verkrampfte Haltung und rieb seine Hände an den Jeans trocken. „Ich weiß, was ich nicht will“, sagte er dann.
Olaf seufzte leise, zwang sich dann zu einem Lächeln. „Das ist doch schon mal was“, meinte er dann.
„Komm mit“, setzte er dann hinzu. „Du hast doch sicher Durst.“
Er hörte mehr, als dass er sah, wie Christian seinen Rucksack gehen die Wand rutschen ließ, als er vorausging, in die leicht abgetrennte, doch offen zugängliche Küche.
Das Geschirr stand noch vom Morgen in der Spüle und Olaf räumte es mit einigen wenigen Handgriffen in die Maschine, bevor er zwei Gläser aus dem Wandschrank holte und den Kühlschrank öffnete, Christian bedeutete, einen Blick hinein zu werfen.
„Was möchtest du?“, fragte er dann und deutete auf die verschiedenen Säfte, die Carola stets vorrätig hielt, griff dann jedoch zielsicher nach der Kirsch-Apfel-Mischung und zeigte sie fragend seinem Bruder.
Er hatte richtig getippt, Christians Züge hellten sich auf und er nickte.
Nachdem er ihnen eingeschenkt und sich an den Tisch gesetzt hatte, gewartet, bis Christian es ihm gleichtat, nahm er den ersten Schluck und sah den Bruder dann auffordernd an.
Christian trank durstig und behalf sich dann selbst zu einem zweiten Glas, bevor er zu sprechen begann.
„Meine Noten reichen für keinen notwendigen Durchschnitt.“ Er zuckte mit den Schultern. „Ich bin nun mal keine Einser-Schüler wie du, und wie mein Abitur aussehen wird, steht bereits ziemlich fest.“
Er trank noch einen Schluck. „Mit Ach und Krach werde ich durchrutschen. Aber was noch viel Wichtiger ist – ich habe nicht das geringste Interesse daran, mir noch weitere Jahre trockenen Bücherwälzens anzutun.“
„Was möchtest du denn tun?“
Christian senkte den Kopf. „Erst einmal meinen Zivildienst.“ Er sah Olaf forschend und dann beinahe entschuldigend an.
„Ich denke da an Krankenpflege.“
Olaf nickte. „Ich verstehe. Und Paps ist da nicht so begeistert.“
Christian verdrehte die Augen. „Er weiß es noch gar nicht. Er… er dreht ja schon durch, wenn ich seinen Jura-Vorschlag ablehne, droht dann immer wieder mit der Militärschule.“
Der Junge stöhnte leise. „Aber ganz im Ernst, Olaf, siehst du mich als Anwalt?“
Trotz des heiklen Themas musste Olaf lächeln. „Paps hat dir bestimmt einige Schulen vorgeschlagen. Wie wäre es im Ausland? Das hat meinen Horizont sehr erweitert.“
„Mein Horizont ist weit genug.“ Wieder tauchte diese Bockigkeit aus dem Nichts auf, irritierte Olaf für einen Moment.
„Nun.“ Olaf stützte die Ellbogen auf den Tisch und rieb sich die Schläfen. „Zum Glück ist das keine Sache, die heute entschieden werden muss.“
Christian lehnte sich ein Stück zu ihm, ein wenig zu weit. Olaf konnte seine Wärme spüren.
„Kann ich hier bleiben?“, fragte Christian dann.
Olaf nickte, fühlte den Kloß im Hals, auf den er bislang beinahe schon gewartet hatte.
„Ist das… ist das wirklich okay?“ Ihre Augen trafen sich und Olaf bemerkte das leichte Zittern von Christians Wimpern, das beinahe unmerkliche Beben seiner Unterlippe.
„Wir haben ein Gästezimmer“, sagte er und spürte die Trockenheit in seiner Kehle, worauf er den Blick abwandte. „Um ehrlich zu sein – wir besitzen mehrere, du wirst dir eines aussuchen können.“
„Klasse!“
Christian sprang auf, als wäre damit das Gespräch beendet, jedes Problem gelöst.
„Und… und was willst du hier machen?“, rief Olaf etwas zu laut, als er sich ebenfalls erhob.
Christian sah sich zu ihm um und zuckte mit den Schultern. „Das wird sich alles fügen“, antwortete er betont leichtfertig und lächelte. „Vielleicht finde ich hier etwas, vielleicht kann ich in deiner Stadt ein Leben finden.“
Und Olaf konnte nicht anders, als zurückzulächeln. In seinem Inneren jubilierte es bei dem nur vagen Entwurf dieser Vorstellung. Wäre das nicht wunderbar? Könnten sie beide fern von daheim ihre Welt entdecken?
Ohne den Druck und die Zwänge? Zumindest solange, bis er wieder zurück musste, bis er die Firma übernehmen und vor Ort sein musste, wenn alles gut ging mit Carola an seiner Seite.
Und wenn es noch besser ging, dann mit der Möglichkeit für Christian, sich seinen Platz im Leben frei auszusuchen.
„Okay“, entschlüpfte es leise seinen Lippen, jedoch
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