Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ueber den Horizont hinaus - Band 1

Ueber den Horizont hinaus - Band 1

Titel: Ueber den Horizont hinaus - Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Lenz
Vom Netzwerk:
eigentlich‘, dachte Olaf. Laut jedoch sagte er: „Es ist illegal und… Mutter und Vater würden es nie erlauben. Sie… ich bin sicher, dass sie nur das Beste für dich wollen… für uns.“
    „Du gehst also wieder?“ Eine Feststellung nur, ein kurzer Satz, den Olaf vermeinte schon viel zu oft gehört zu haben.
    „Ich muss“, brachte er mühsam hervor und die Worte schmerzten in seiner Kehle.
    Anstelle einer Antwort schmiegte sich Christian mit einem Mal an ihn, umfasste seinen Oberkörper, krallte die Finger in den immer noch von der langen Nachtfahrt zerknautschten Stoff seiner Jacke und presste seinen Kopf gegen Olafs Brust.
    Und der Ältere konnte nicht anders, als seinerseits seine Arme um das Kind zu schlingen und es näher an sich zu ziehen, zumindest zu versuchen, das bisschen an Trost, das er spenden konnte, weiterzugeben.
    *
    Später saßen sie sich gegenüber, die großen Teller dampfende Nudeln schon beinahe geleert, als Christian sich mit einem Ächzen zurücklehnte.
    „Das war gut.“ Er rieb sich den Bauch und fragte unvermittelt: „Und du gehst dann zu den Soldaten?“
    Olaf nickte. „Ich bin für länger verpflichtet, also werde ich Offizier.“
    „Das ist cool“, grinste Christian.
    Olaf zuckte mit den Achseln. „Paps‘ Tradition. Er meinte…“
    Seine Gedanken verloren sich, als er sich wie schon so oft zuvor fragte, inwieweit er auf seinen Vater hörten müsste. Doch mit geübter Praxis schob er den leisen Zweifel beiseite.
    „Es gehört zur Familie.“
    „Aber ich gehe nicht“, stellte Christian fest. Und als Olaf aufsah, erstaunte ihn die Überzeugung, mit der Christian ihn ansah. Beinahe als wüsste er, wovon er sprach. Und für einen Moment glaubte Olaf das Potential in seinem Bruder zu erkennen, eine Stärke, die ihm fehlte, der Mut, seinem eigenen Weg zu folgen.
    Er schluckte und schwieg, verwirrter noch als zuvor.
    *
    Sie gingen Hand in Hand zurück und als sie im Taxi saßen, kletterte Christian auf Olafs Schoß, legte dem Älteren die Hände auf die Schultern.
    „Ich hab dich lieb“, sagte er freimütig und Olaf wunderte sich, woher sein Bruder die Freiheit nahm, mit der er seine Gefühle zum Ausdruck bringen konnte.
    Er umarmte ihn und hielt Christian fest, bis dieser, an ihn geschmiegt, in Schlaf gesunken war.
    Und nachdem er ihn ins Haus gebracht, die Treppe hinaufgetragen und mit einem Abschiedskuss auf die Stirn ins Bett gelegt hatte, nahm Olaf all seinen Mut zusammen.
    „Du musst sofort zurück“, sagte seine Mutter, als er Hannibal und Helena im Arbeitszimmer aufsuchte.
    „Ich fahre auch“, antwortete Olaf und ballte die Fäuste. „Eins nur möchte ich noch sagen und nur das eine.“
    Er atmete tief durch und sah dann seinen Vater an. „Ich möchte nicht, dass du Christian schlägst. Er… er ist nicht so wie ich. Er steckt das nicht weg wie ich.“
    Hannibal runzelte die Stirn, stellte sein Glas ab. „Ich weiß nicht, was du meinst.“
    Helena zog die Augenbrauen in die Höhe. „Stellst du unsere Erziehungsmethoden in Frage?“
    Die Worte klangen fast spöttisch und Olaf spürte, wie Ärger in ihm aufstieg, eine Emotion, die ihm bislang, zumindest in Zusammenhang mit seinen Eltern, fremd geblieben war.
    „Wir hatten bisher keine Beschwerden“, bemerkte sein Vater und sah ihn scharf an. Doch mit einem Mal fühlte Olaf, wer er war.
    Er streckte sich und ihm wurde klar, dass er nicht mehr das Kind war, nicht mehr der Jugendliche. Er war ein Mann und seinem Vater, wenn auch vielleicht nicht ebenbürtig, dann doch in gewisser Weise gewachsen.
    „Nein, Vater“, sagte er und entspannte seine Fäuste, ließ die Finger locker. Diese Auseinandersetzung war nicht durch Konfrontation zu gewinnen. Dazu kannte er seine Eltern zu gut.
    Dazu war er zu klug.
    Er bemühte sich, seine Stimme ruhig zu halten.
    „Aber Christian ist anders. Und deshalb bitte ich euch, ihn auch anders zu behandeln. Er… er braucht mehr… er ist…“
    Olaf stockte, unsicher darüber, was er noch sagen sollte, unsicher, ob er nicht schon zu viel gesagt hatte.
    „Was braucht er mehr?“, fragte ihn seine Mutter, wartete jedoch die Antwort nicht ab.
    ‚Liebe‘ dachte Olaf, doch schwieg, als sie fortfuhr.
    „Ich weiß sehr gut, wie ich meinen Sohn erziehen muss. Besser als du auf jeden Fall.“
    Pflichtschuldig schlug Olaf die Augen nieder.
    „Und was deinen Vater angeht…“ Helena blickte zu Hannibal. „So tut er nur, was das Beste für den Jungen ist. Ebenso, wie er das Beste

Weitere Kostenlose Bücher