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Ueber den Horizont hinaus - Band 1

Ueber den Horizont hinaus - Band 1

Titel: Ueber den Horizont hinaus - Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Lenz
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beide ab.
    Helena verschränkte die Arme vor der Brust und verzog missbilligend ihren Mund, als Olaf, ohne sie auch nur einen weiteres Blickes zu würdigen an ihr vorbeirauschte, seinen Rucksack zu Boden gleiten ließ und den kleinen Bruder, der mehr fiel, als dass er die Treppe hinunter stolperte, auffing.
    Er hob ihn hoch und drückte ihn fest, so fest, als könnte er ihn vor allem beschützen. Und Christian presste seinen kleinen Körper an ihn und jubelte nur immer wieder: „Du bist da, du bist wirklich da.“
    Mit einem breiten Grinsen und so befreit, wie er sich schon lange nicht mehr gefühlt hatte, setzte Olaf den Kleineren auf den Boden, bückte sich und versetzte ihm einen Nasenstüber.
    „Ich muss mir doch vor den letzten Tests noch eine Portion Glück abholen.“
    Christian umfing ihn wieder. „Das kriegst du von mir“, sagte er. „Gebe ich dir alles.“ Gerührt und gleichzeitig traurig drehte Olaf sich zu Helena. „Wir machen einen Ausflug. Ich nehme Christian mit in den Zoo.“ Er wand sich zu dem Kleinen. „Oder, wo möchtest du hin?“
    „Zoo ist toll“, antwortete Christian und sah Helena bittend an. „Ich verspreche auch alles, was du willst.“
Helena seufzte, schüttelte den Kopf und winkte ab. Bevor sie noch etwas einwenden konnte, nahm Olaf Christian an der Hand und führte ihn aus dem dunklen Haus.
    *
    Später, als sie über das Geländer lehnten, dass sie von dem Graben und schließlich von den Giraffen trennte, die mit ihren langen Hälsen eleganter wirkten, als es Olaf jemals zuvor aufgefallen war, fragte er Christian nach dem Bild.
    Dieser zuckte nur mit den Schultern. „Ich wusste, dass ich es niemandem zeigen sollte“, murrte er dann und sah zur Seite.
    Olaf nahm ihn bei der Hand und zog ihn zu einer niedrigen Bank, wo sie nebeneinander Platz nahmen. Nachdenklich sah er auf den Boden.
    „Was hattest du angestellt?“
    Christian zuckte wieder hilflos mit seinen Schultern. „Ich weiß nicht. Konnte nicht schlafen oder so.“
    Olaf stützte sein Kinn auf die Hand. „Manchmal reicht wenig aus.“
    Christian nickte stumm und Olaf sah ihn von der Seite an, betrachtete das für seine wenigen Lebensjahre viel zu schwermütig wirkende Gesicht, die Haare, die ein wenig zu lang in die blasse Stirn fielen, den bereits ein wenig harten Zug um den Mund, den er im Spiegel bei sich selbst auch manchmal bemerkte.
    „Ich denke, er meint es nicht schlecht“, sagte Olaf dann. „Es ist seine Art, uns zu helfen, erwachsen zu werden. Uns Disziplin beizubringen. Und das ist wichtig… später im Leben.“
    Christian blinzelte. „Dann hat er dich auch…?“
    Olaf nickte, schloss die Augen, als die Erinnerungen ihn überfielen an die immer wieder von Neuem überraschend schmerzhaften Schläge, die Unfähigkeit sitzen zu können für mindestens zwei Tage, den groben Ton, mit dem Hannibal seine Verfehlungen aufzuzählen pflegte.
    „Dadurch wirst du härter. Lernst dich durchzubeißen“, suchte Olaf nach weiteren Erklärungen, nach einem Sinn, den Christian verstehen konnte.
    „Ich… es war leichter dann… später in der Schule“, überlegte er dann. „Ich hatte wohl nicht so viel Angst, wie die anderen.“
    Christian biss sich auf die Unterlippe, knabberte dann daran. „Ich will nicht ins Internat. Ich will auch nicht hart werden… oder Disziplin lernen. Ich will…“
    Olaf sah ihn an, einmal mehr überrascht über die Zartheit in dem Gesicht des Jungen. So ganz anders, als er selbst.
    „Was willst du dann?“, fragte er sanft.
    Christian seufzte wieder. „Etwas anderes“, antwortete er dann traurig. „Aber ich werde es wohl nicht bekommen, oder?“
    In seinen Augen glitzerte es verräterisch.
    „Wir bekommen nicht alles, was wir uns wünschen“, sagte Olaf. „Das gehört dazu… zum erwachsen werden.“
    Und tief in sich fragte er, ob es notwendig war, dass Christian das alles jetzt schon lernen musste, ob er nicht ein wenig mehr Zeit verdient hätte, ein Kind zu sein.
    Christian legte seine schmalen Finger auf Olafs Hand. „Ich wünschte, ich könnte mit dir kommen.“
    Olaf nahm seine kleine Hand in die eigene. „Das geht nicht“, antwortete er und schüttelte den Kopf, als müsste er die Aussage vor sich selbst bestätigen.
    „Ich wünschte manchmal, es ginge, aber… das ist unmöglich.“ Er drückte die dünnen, weißen Finger fest in den seinen, fühlte, wie die eigene Wärme in die Glieder des Kleineren überging.
    „Warum?“, fragte Christian.
    ‚Ja, warum

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