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Ueber den Horizont hinaus - Band 1

Ueber den Horizont hinaus - Band 1

Titel: Ueber den Horizont hinaus - Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Lenz
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die Sehnsucht mit ihm.
    Christian entwickelte nach überstandener Krankheit einen verstärkten Eigensinn. Er besuchte die Schule, lernte gut und war bald dazu imstande, Olaf lange und ausführliche Briefe zu schreiben, welche die Zeichnungen ersetzten.
    Er schilderte das Leben im Haus und Olaf hielt das Papier so fest, dass es ihm zwischen den Fingern schmerzte. Zu stark waren die Gefühle, die er mit den wenigen Erinnerungen an seine eigene Kindheit verband, zu unfähig war er, diese abzulegen.
    Christian besuchte kein Internat. Er blieb wo er war und schoss in die Höhe, wurde lang und schlaksig.
Und wenn Olaf nach Hause kam, wich er ihm keinen Schritt von der Seite.
    „Hast du keine Freunde?“, fragte ihn Olaf einmal, als er in seinem Zimmer saß und die Prüfungsfragen durchblätterte, die der Ältere sich zum Üben mitgenommen hatte.
    Christian zuckte mit den Achseln. „Die kann ich immer sehen. Du dagegen… du bist fast nie da. Ich möchte keine Minute davon versäumen.“
    Und obwohl Olaf sich wunderte, schmeichelte ihm die Anhänglichkeit des kleinen Bruders doch mehr, als er zugeben wollte.
    „Du solltest dir deine Haare schneiden“, murmelte er und strich Christian die dunklen Strähnen aus der Stirn.
    „Bestimmt nicht“, lachte dieser und schüttelte sie zurück. „Das ist jetzt Mode. Kein Vergleich mit euch unmodischen Kasernentypen.“
    „Na warte“, drohte Olaf ihm lachend und setzte dazu an, ihn zu kitzeln. Christian wich ihm aus, startete dann jedoch einen Gegenangriff, der damit endete, dass sie beide lachend über das Sofa rollten.
    „Idiot“, kicherte Christian, als er wieder Luft bekam und Olaf konnte nicht anders, als seine geröteten Wangen, die glänzenden Augen zu bewundern. Aus ihm wird mal ein schöner Mann, dachte er bei sich und fühlte einen Anflug Stolz in sich aufkeimen, dessen Ursache er sich selbst nicht erklären konnte.
    *
    Er hatte Affären. Nie etwas ernstes, nie mehr als ein paar Nächte, bevor er sich zu langweilen begann und die Beziehung abbrach.
    Meistens mit dem Gefühl, dass auch die Frau oder noch während seiner Schulzeit eines der Mädchen heimlich erleichtert war. So angezogen sie sich auch im ersten Moment von seinem guten Aussehen, seinen Umgangsformen und seiner Herkunft zeigten, so desinteressiert wurden sie bereits nach einem wiederholten Stelldichein.
    Er wusste nicht, woran es lag. Der Sex war gut, zumindest soweit er das beurteilen konnte, und seine Partnerinnen beschwerten sich nicht.
    Manchmal glaubte er, dass er nicht gut genug verstecken konnte, wie wenig es ihm bedeutete.
    Nach der Werbung, die noch spannend, beinahe einer Jagd glich, schien das Ergebnis, egal wie es ausfiel, ihm immer mit Enttäuschung verknüpft zu sein.
    So intelligent, hübsch oder witzig die Frauen auch sein mochten, etwas fehlte ihm und Olaf wusste nicht, was es war.
    *
    Olaf studierte im Ausland und als er in den Semesterferien nach Hause kam, war aus Christian ein Jugendlicher von 15 Jahren geworden.
    Er wartete vor der Auffahrt, ausgestreckt auf einem der großen Steine, die eigentlich der Dekoration dienten, doch so viel mehr zum Sitzen einluden, in der Hand ein Buch, das er jedoch achtlos fallen ließ, als der Wagen die Auffahrt hoch fuhr.
    Christian blinzelte gegen das Sonnenlicht, sprang jedoch sofort, als er erkannte, dass das Auto auf ihn zusteuerte, aus seiner Ruheposition auf.
    Olaf hieß den Fahrer halten, und ohne sich auch nur einen Moment Gedanken um seine Würde, seinen Status, sein Alter zu machen, kletterte er aus seinem Sitz und öffnete die Tür.
    Und kaum hatte er die Tür aufgemacht, da flog Christian auch in seine Arme, Christian, der offenbar selbst trotz seiner gewonnenen Körpergröße nichts von seiner Anhänglichkeit und seiner Vorliebe für körperliche Nähe verloren hatte.
    Perplex wuschelte Olaf ihm durch das immer noch viel zu lange Haar, als Christian sich aus ihrer Umarmung löste.
    Dann sah er ihn staunend an. „Junge, du bist ja bald so groß wie ich.“ Die Bemerkung brachte Christian zum Lachen.
    „Da fehlt noch einiges. Aber ich geb mein Bestes.“
    Olaf ließ sich seinen Koffer geben und schickte den Wagen fort. Arm in Arm gingen sie die Auffahrt hinauf, lachten und erzählten und Olaf erkannte mit Staunen, dass allein die Anwesenheit seines Bruders für ihn Zuhause bedeutete.
    Seine Eltern begrüßten ihn ebenfalls mit der ihr eigenen Distanziertheit. Sie sprachen über sein Studium, über die Zeit danach, über seine ersten

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