Ueber den Horizont hinaus - Band 1
doch, so wie du es bis jetzt auch gemacht hast“, bemerkte Helena.
Hannibals Stimme wurde wieder lauter. „Wie könnte ich denn? Wie sollte ich das ignorieren? Hast du sie nicht gesehen?“
„Ich weiß nicht, was du meinst.“
„Die beiden, wie Christian sich an Olaf klammert, ihn keinen Moment aus den Augen lässt.“
„Jetzt übertreibst du aber. Natürlich sieht er zu seinem Bruder auf.“
Hannibal grummelte. „Es ist nicht normal. Er wird ihn runterziehen, ihn ablenken von dem, wofür Olaf bestimmt ist.“
Helenas Stimme wurde noch leiser. „Olaf wird das schon machen. Er hat alles im Griff. Darauf können wir uns verlassen. Du hast ihn zu deinem Nachfolger erzogen und er wird diese Aufgabe einwandfrei erfüllen, so wie er bislang alles einwandfrei gemeistert hat.“
Olaf drehte sich um und hastete die Treppe wieder hinauf, hielt nicht an, bis er wieder in seinem Zimmer war, die Tür trotz allem vorsichtig hinter sich zuklappte, und schwer atmend dahinter stehen blieb. Ein Fluch lag ihm auf der Zunge, doch er konnte es nicht über sich bringen, ihn auszusprechen.
Stumm ging er auf sein Bett zu, setzte sich und stützte den Kopf in die Hände.
Es dauerte Stunden, bis Olaf einschlief und am nächsten Morgen fühlte er sich müde und zerschlagen.
Dennoch spürte er die Notwendigkeit, etwas zu unternehmen, den unerklärten Drang, Christian aus diesen vier Wänden herauszuholen und sei es nur für einen Moment.
„Ich dachte, ich könnte mit ihm wandern“, schlug er seinem Vater vor. „Die Semesterferien dauern lange genug. Ein paar Tage abschalten würden mir den Kopf freimachen und ich könnte danach mit neuer Kraft an die Vorbereitungen und Bewerbungen für das Praktikum gehen.“
Hannibal fuhr sich über die Stirn, nickte und seufzte. „Ich verstehe“, sagte er resignierend.
„Frag deine Mutter. Wenn sie ihn dir mitgibt, dann in Gottes Namen.“
Noch beim Herausgehen, dachte Olaf über den Blick nach, den Hannibal ihm in Anschluss an diese Worte zugeworfen hatte. Übel gelaunt, beinahe böse hatte dieser gewirkt, erfüllt von einer Ahnung, deren Auswirkungen nicht in Gedanken gefasst werden konnten oder wollten.
Christian erhielt die Erlaubnis und so suchten sie sich eine Strecke, die sie forderte. Besser gesagt, Olaf suchte diese. Christian gab bekannt, dass ihm auch ein Spaziergang zum Zeltplatz reichen würde.
Trotzdem hielt er eisern durch.
Sie liefen lange und ohne Pausen einzulegen.
Olaf genoss es, einen Tag für sich zu haben und sich auszuarbeiten. Er genoss es, seine Muskeln zu spüren und zumindest der Illusion nachzujagen, die Worte der letzten Nacht zu vergessen.
Vergeblich, hatten diese sich doch schon längst in seinem Geist mit der Erinnerung an eine ganz andere Nacht vermischt. Eine Nacht, in der ihr Vater den Wunsch geäußert hatte, das kleine Monster zum Schweigen zu bringen.
Sie schwiegen während ihres Gewaltmarsches. Christian, der sich zu Beginn noch um ein Gespräch bemüht hatte, gab bald auf, als ihm die Puste ausging.
Obwohl sehnig und sportlich war er doch nie der Kräftigste gewesen und wusste genug, um die Notwendigkeit einzusehen, mit seinen Kräften hauszuhalten.
Olaf, der gewohnt war, regelmäßig zu joggen, genoss die Auswirkungen der körperlichen Tätigkeit, die sich in Stunden ausdehnte. Seine Gedanken entwirrten sich, er begann, die Umgebung wahrzunehmen, Abstand zu gewinnen.
Sie liefen, bis die Hitze des Tages der angenehmeren Temperatur des Abends wich, bis die Grelle des Sonnenlichts, obwohl zumeist gedämpft durch die Dächer der Blätterkronen, die sich über ihnen wölbten, einem milden Schein wich, der zum Rasten einlud.
Den Zeltplatz erreichten sie rechtzeitig und ein angenehm abgelegener Platz war schnell gefunden.
„Und morgen müssen wir schon wieder zurück?“, war das erste, was Christian sagte, nachdem sie sich auf ihre Decken vor das aufgeschlagene Nachtlager gesetzt hatten.
„Du weißt, was unsere Mutter gesagt hat“, antwortete Olaf und sah seinen Bruder an. Dessen Gesichtsfarbe hatte einen rosigen Schimmer angenommen, wirkte eindeutig gesünder, als es ihm die gewohnte Blässe meistens suggerierte.
Christian lächelte und zuckte mit den Schultern. „Ich weiß… wollte es nur noch mal versuchen.“
Olaf lächelte auch. „Was denn?“
Christian vollführte eine umfassende Bewegung, die den Wald, den Campingplatz, ihr Zelt und sie beide einschloss. „Das alles hier. Es macht Spaß.“
Olaf nickte nur. „Ja, das
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