Ueber den Horizont hinaus - Band 1
dumm bist“, antwortete Olaf, ergriff die Karaffe und räumte sie zurück in den Glasschrank.
„Was bist du? Mein Aufpasser?“, beschwerte Christian sich und Olaf seufzte innerlich. Wie hätte es auch anders sein können. Bislang war ihm wohl die Teenager-Rebellion erspart geblieben, doch anscheinend nur, damit sie ihn jetzt mit geballter Macht treffen konnte.
„Solange sonst niemand da ist, bin ich das wohl“, erwiderte er ernst.
Christian stöhnte. „Mann, das wird wohl nicht so lustig, wie ich dachte.“
Olaf ließ sich zurück aufs Sofa fallen. „Das kann sein“, murmelte er und sah dann auf, betrachtete den Schmollmund, den trotzigen Ausdruck im Gesicht, die dunklen Schatten, verursacht durch die erste Gesichtsbehaarung, die Christian älter wirken ließe, würden seine kindlichen Launen nicht durchschimmern.
Und wieder einmal erzitterte sein Herz. Es war unglaublich, dies zu denken, aber Olaf wusste, dass Christian der schönste Mensch war, den er jemals gesehen hatte. Das glänzende, dunkle Haar bildete einen perfekten Kontrast zu der blassen Haut. Der Körper war weiter emporgeschossen und kräftiger geworden, auch wenn er immer noch die schlaksige Erscheinung eines Heranwachsenden aufwies.
„Ich werde viel arbeiten müssen“, sagte er in der Hoffnung, sich selbst abzulenken. „Die meiste Zeit findest du mich daher wahrscheinlich am Computer. Ich muss Abhandlungen und Protokolle nachreichen, wenn ich im nächsten Jahr fertig werden möchte.“
Christian schon die Unterlippe vor. „Wieso hast du es so eilig?“, fragte er dann. „Ist doch egal, ob du den Abschluss ein Jahr später machst.“
Olaf seufzte, schüttelte dann den Kopf. „Das ist nicht egal“, sagte er dann. „Es ist wichtig, sich ein Ziel zu setzen, Ehrgeiz zu entwickeln und nach etwas zu streben. Ich habe in allem bereits zu viel Zeit verloren. Es geht nicht an, dass ich weiter herumtrödele.“
Christian stöhnte wieder. „Also ich hab dich noch nie trödeln gesehen. Aber ich verstehe schon.“ Er stopfte seine Hände in die Hosentaschen und drehte sich abrupt um. „Wann magst du essen? Ich hab was mitgebracht.“
Olaf bemühte sich zu lächeln. „Wann du magst. Ruf mich einfach.“
Christian nickte nur und verschwand, worauf Olaf zurückblieb und sich fragte, was er falsch gemacht haben konnte.
*
Doch nach einer Weile musste er erkennen, dass Christian sich tatsächlich weiterentwickelt hatte. Nicht nur, dass er Olaf seinen Freiraum ließ, seine Zeit für die Arbeit und das Studium, er machte sich von Zeit zu Zeit unsichtbar, verschwand ohne zu erklären warum oder wohin. Gleichzeitig sorgte er selbstständig für Nahrung und Wäsche, hatte offensichtlich an Reife und Selbstständigkeit gewonnen.
Nur manchmal, wenn sie sich gegenüber saßen, fing Olaf einen Blick auf, der ihn verwirrte. Einen Blick, der von einer unterdrückten Scham erzählte, von einer ungeklärten Unsicherheit und der gleichzeitig voller Hoffnung war, erfüllt mit dem Wunsch nach Anerkennung.
Und wenn Olaf es nicht besser wüsste, glaubte er, dass Christian sich unbewusst oder vielleicht auch bewusst danach sehnte, seine Anerkennung zu erhalten, sich wünschte, dass Olaf von ihm Notiz nahm, mehr Notiz als er ihm bereits gewährte.
Was an sich unsinnig war, musste der Junge doch mit der Nase darauf stoßen, wie wichtig er ihm war, wie viel er ihm und nur er allein, ihm bedeutete.
Olaf wusste nicht, wie er reagieren sollte, was es war, womit er es hier zu tun hatte. Also vergrub er sich in seine Arbeit. Doch er ließ stets die Tür zum Arbeitszimmer offen, lauschte auf die Geräusche, die Christian verursachte, auf das Klappen der Türen, die Schritte, die Bewegungen, die das einzige Leben im Haus darstellten, hatten sie dem Personal doch wieder für den Sommer frei gegeben.
Es dauerte nicht lange, und die Geräusche, die Bewegungen im Haus verstärkten, verdoppelten, vervierfachten sich, je nachdem wie viele Freunde Christian mitbrachte.
Olaf stöhnte, als er zum ersten Mal die fremden Stimmen hörte, das Gepolter von Teenagern, die ein elternloses Haus für sich entdeckten.
Aber was anderes hätte er von Christian auch erwarten können? Es waren seine Sommerferien und mit seinem großen Bruder konnte er offenbar nichts anfangen.
Olaf entschloss sich, zumindest seine Anwesenheit kundzutun, verließ seine Arbeit und ging auf die Quelle der Unruhe zu.
Christian lümmelte zusammen mit drei anderen Jugendlichen in der Sitzecke des
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