Ueber den Horizont hinaus - Band 1
murmelte er dann vorwurfsvoll. „Schließlich hast du doch auch Ferien.“
Olaf klappte den Ordner zu, in dem er soeben noch vorgegeben hatte, zu studieren.
„Nun. Es sieht nicht so aus, als würdest du mich vermissen.“ Die Worte kamen schärfer heraus, als er es beabsichtigt hatte, und Olaf zuckte innerlich zusammen.
Christians Augen weiteten sich. Er wirkte erschrocken, beinahe verletzt, als er antwortete. „Ich dachte, du hättest keine Zeit für mich. Wenn es dich stört, gehen wir woanders hin.“
Olaf schüttelte den Kopf. „Nein, es tut mir leid. Ich… bin wohl nur etwas unter Druck.“
Christian ging zögernd ein paar Schritte auf den Schreibtisch zu, bis er ihn erreichte, fuhr dann abwesend mit der Hand über die Kante.
„Ehrlich… wenn es dich stört, gehen wir zu Henning. Es ist nur… hier sind wir ungestörter.“
Olaf konnte sich eines unangenehmen Gefühls nicht erwehren. „Und wofür wollt ihr ungestört sein?“
Christian zuckte mit den Achseln. „Du weißt schon, Quatsch machen. Blödsinn anstellen.“
Als Olafs Augenbrauen in die Höhe fuhren, grinste er. „Ich wollte nur sehen, ob du zuhörst. Wir stellen nur harmlose Sachen an, keine Autofahrten, versprochen.“
‚Aha‘, dachte sich Olaf im Stillen. Daher wehte der Wind. Christian fühlte sich immer noch schuldig. Unter Umständen war das der Grund, warum er sich vor ihm zurückzog, sich durch seine Bemerkungen auf Distanz halten ließ, die ihn früher niemals davon abgehalten hätten, ihm auf Schritt und Tritt zu folgen und auf die Nerven zu gehen, wenn ihm danach war.
„Das will ich auch hoffen“, sagte er und erlaubte sich ein verständnisvolles Lächeln.
Doch Christian sah ihn bereits nicht mehr an.
„Matthias hat ein Auto“, stellte er dann fest. „Natürlich auch einen Führerschein“, beeilte er sich zu versichern. „Er ist mit Phil hier runtergefahren, um die Ferien zu verbringen. Sie wollen dann noch weiter nach Italien, haben sich aber noch nicht entschlossen, wann.“
„Ich verstehe“, nickte Olaf. „Und mit Henning sind sie verwandt?“
„Beide Cousins“, antwortete Christian und sah nun doch zu Olaf auf. Sein Blick war dunkel und erfüllt mit einem unausgesprochenen Drängen, auf das Olaf sich keinen Reim machen konnte.
Er schaltete den Computer und das Faxgerät aus, stellte die Bücher, die zuvor wahllos auf dem Tisch herumgelegen hatten, ins Regal und wandte sich Christian zu.
„Und was macht ihr morgen?“
Christian räusperte sich. „Keine Ahnung. Herumhängen. Vielleicht schwimmen.“ Er räusperte sich wieder. „Du hast also nichts dagegen, wenn sie herkommen.“
Olaf zögerte. „Wie schon gesagt, amüsiert euch, aber zeigt Benehmen.“
Jetzt lächelte Christian. „Oh Mann, was müssen sie dir in dem Internat beigebracht haben.“
Olaf schnaubte. „All das, was euch anscheinend abgeht.“
Christian senkte den Blick und für einen kurzen Moment hatte Olaf das Gefühl, es wäre etwas darin erloschen. Doch dann richtete Christian sich wieder auf und schüttelte energisch sein Haar aus dem Gesicht.
„Ich bin müde. Ich werde schlafen gehen.“
Olaf blinzelte. „Ist alles in Ordnung?“
Christian nickte. „Alles bestens. Was machst du?“
Halb wartete Olaf darauf, dass Christian einen gemeinsamen Film vorschlug, einen späten Imbiss, ein Gespräch, etwas, das die Spannung zwischen ihnen lockern konnte, doch er tat nichts dergleichen.
Stattdessen drehte er sich um und ging auf sein Zimmer, ohne Olafs Antwort abzuwarten.
Der Ältere blieb stehen und versuchte, das miserable Gefühl, das sich in ihm ausbreitete, zu ignorieren.
Er erinnerte sich wieder an einen seiner Ferienaufenthalte, der für ihn unangenehm geendet hatte.
Christian war nicht älter als sieben gewesen und hatte sich geweigert, von ihm Abschied zu nehmen.
Stattdessen war er hochgerannt in sein Zimmer und hatte die Tür verriegelt. Und als Olaf ihm folgte, schrie Christian immer wieder, dass es keinen Sinn habe, dass er ohnehin nicht wiederkommen würde. Dass er es nicht einsah, sich die Mühe zu machen.
Christian war nicht wieder heruntergekommen, und Olaf hatte schließlich fahren müssen, mit einem Klumpen im Herz, der erst verging, als ein Brief seines Bruders bei ihm eintraf. Ein Kinderbrief, sonnig und fröhlich, wie ein Brief von einem Siebenjährigen es auch sein sollte.
*
Er schlief schlecht in dieser Nacht. Und als er am nächsten Morgen mit schwerem Kopf aufwachte, hatte Christian bereits
Weitere Kostenlose Bücher