Ueber den Horizont hinaus - Band 1
Schultern hingen traurig herab, seine ganze Haltung sprach von den Selbstvorwürfen, die er nicht ausdrücken konnte.
Schließlich trafen ihre Blicke sich und Olaf fühlte, wie sowohl der Ärger, als auch die Angst, die ihn bislang niedergedrückt hatten, Raum gaben für ein Gefühl der Erleichterung, dessen Intensität er zuvor nicht erkannte hatte.
„Du hättest tot sein können“, flüsterte er schließlich, als ihm das Ausmaß seiner Emotionen bewusst wurde.
„Ich hätte dich verlieren können.“
Christian hielt seinem Blick stand, obwohl die Haltung, die er mühsam aufrecht erhielt weiter zusammenklappte, ihn kleiner wirken ließ, als sein Alter ihm zugestand.
„Aber es ist nichts passiert“, sagte er schließlich und schloss die Augen, als könne er Olafs starren Blick nicht mehr ertragen. Seine Wimpern zitterten und Olaf beobachtete gebannt, wie sie leise flatterten und bebten, erstaunt über deren Länge, die ihm bislang nie bewusst aufgefallen war.
„Nein“, erwiderte er dann, nur um überhaupt etwas zu sagen. „Zum Glück ist es das nicht.“
Er seufzte und löste seinen Blick von Christians Gesicht, stellte jedoch fest, dass es sich dabei um einen Fehler handelte.
Glitten seine Augen doch an dem Körper des Bruders hinab, der, obwohl er zusammengesunken und ohne die gewohnte Spannung wie ein Abbild von Christians Gefühlen wirkte, dennoch lang und schmal und fraglos attraktiv aussah.
Und als Olaf nicht anders konnte, als ihn unverwandt anzublicken, erkannte er mehr. Christians Haltung verlieh seiner Erscheinung eine Verletzlichkeit, die fremdartige und auf ihre Weise beinahe erschreckende Impulse in Olaf auslöste.
Er verspürte mit einem Mal den Wunsch, den Jüngeren zu umfassen und festzuhalten, zu beschützen.
Dieser Wunsch wuchs in ihm so stark, dass Olafs Stimme zitterte, als er wiederholte: „Ich hätte dich verlieren können.“
Christians T-Shirt war zu kurz und dennoch schlackerte es um seinen Oberkörper. Olafs Blick blieb an dem Streifen weißer Haut hängen, der zwischen seinem Rand und dem locker auf den Hüften aufsitzenden Gummibund zu erkennen war.
Eine Druckstelle, mehr violett als rot ließ ihn erschauern und lenkte seine Aufmerksamkeit wieder zurück auf Christians Gesicht, auf die Verletzung über seinem Auge.
Er schluckte und spürte, wie seine Hände sich verkrampften. Das Bedürfnis aufzuspringen und den Jüngeren an sich zu ziehen, seine Hände über den ganzen Körper wandern zu lassen und sich zu vergewissern, dass dieser heil und intakt war, war zu stark, als dass er es ignorieren konnte.
Was ihn zurückhielt, wusste er nicht, doch die Lähmung, die ihn erfasst hatte, hielt ihn sicher an seinem Platz.
Doch dann bemerkte Olaf, wie Christians Beine zu zittern begannen, als löste sich der Schock erst jetzt. Die hellgraue Stoffhose bewegte sich, als sein Bruder mit fahrigen Bewegungen die Arme zuerst vor seinem Körper verschränkte, als versuche er einen letzten Rest von Stärke zu bewahren, sie dann jedoch locker ließ und plötzlich, unerwartet und mit schnellen Schritten auf Olaf zu ging.
Und bevor dieser noch reagieren konnte, war Christian praktisch auf seinen Schoß geklettert, klammerte sich so fest an Olafs Schultern, dass seine Finger sich schmerzhaft in die Muskeln pressten und barg sein Gesicht an Olafs Brust.
Sein magerer Jungenkörper hob und senkte sich in tonlosem Schluchzen und Olaf fühlte, wie warme Tränen den Stoff seines Hemdes durchdrangen.
„Es tut mir wirklich leid“, brachte Christian schließlich hervor, wischte sein Gesicht an Olafs Kleidung ab, doch ohne ihn auch nur für eine Sekunde loszulassen. Im Gegenteil, er klammerte sich umso fester an ihn, verschränkte seine Hände auf Olafs Rücken und presste sich näher an ihn, erdrückte ihn beinahe auf seiner Suche nach Halt.
„Hey, hey, ist schon okay“, murmelte Olaf nahe an Christians Ohr, so nahe, dass er das Ohrläppchen mit seiner Zunge berühren konnte, wenn er dies nur wollte.
„Ist schon gut“, flüsterte er wieder und schloss die Augen, genoss das Gefühl des warmen Körpers in seinen Armen, der Nähe, der Bestätigung, dass auch wirklich alles in Ordnung war.
Seine Hände glitten Christians Rücken auf und ab, schlüpften unter das T-Shirt, berührten die nackte Haut darunter.
So glatt, so perfekt. Warm und fest. Eine Landschaft, die sich veränderte, die bebte mit jedem Atemzug, sich wölbte und dehnte, unter ihrer Wärme Muskeln, Sehnen, Knochen,
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