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Über den Missouri

Über den Missouri

Titel: Über den Missouri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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mußte warten. Hapedah war noch nicht wieder zu sich gekommen. Das Bärenjunge schmiegte sich verängstigt an Tschaskes Knie.
    Warten war ein schweres Wort, wenn man ganz allein war in dem öden Strom und ein Gewitter heraufzog. Der Knabe blickte ringsum.
    »Tokei-ihto! Tokei-ihto!« schrie er gellend. »Tokei-ihto!« – Das Wasser und der Wind verschlangen seine Stimme.
    Es kam keine Antwort. Ringsum strömte und wogte es, abwärts, abwärts, es zog und zog. Tschaske drückte die Fäuste vor die Augen. Wenn alle Hoffnung geschwunden war, wollte er in die Flut springen und sterben. Aber noch mußte er warten, noch lange mußte er warten, bis er mager war wie die Ziege …
    »Tokei-ihto! Tokei-ihto!«
    Auf einmal geschah das Wunder. Ein Schopf hob sich aus den Schlammwogen, mit Gras und Schmutz behangen.
    »Tokei-ihto!«
    Bis zu den Knien noch im Wasser, watete der Häuptling heran. Im Arm trug er Schwarzfels, der röchelte und schnappte. Tschaske machte das Lasso bereit. Tokei-ihto winkte dem Knaben, daß er das Lasso haben wolle. Er befestigte das eine Ende an dem Körper des Geretteten, das andere knüpfte er sich selbst um die Brust. Er legte den halb Ohnmächtigen stillschweigend auf den Scheitel des Hügels, über den das Wasser nur hin und wieder fußhoch wegspülte, und unterstützte seinen wiederkehrenden Atem, bis sich der Jungmann schließlich taumelnd erhob und selbst Wasser spie. Er hielt sich an dem Häuptling fest, hustete und keuchte.
    »Der Wirbel hatte mich drunten – ich habe nicht geglaubt, daß du mich noch holen würdest.«
    Der Häuptling besah das Boot. Tschaske blickte an ihm auf, und es entging ihm nicht, daß auch Tokei-ihtos Atem tief aus der Brust herauszog und das Blut in seiner Halsschlagader schnell hämmerte. Die Körper der beiden Schwimmer waren dunkel angelaufen nach dem langen Aufenthalt in dem Schmelzwasser. Sie fühlten sich selbst kalt an wie Eis, ihre Haut hatte sich frostig zusammengezogen und war ganz rauh geworden. Schwarzfels schlugen die Zähne schnatternd aufeinander.
    Aber Tokei-ihto schien nicht an Rasten zu denken. Auf seinen Wink setzte sich der Knabe wieder in dem Lederfahrzeug zurecht. Der Häuptling schob es fort, bis die Flut es faßte. Schon war er wieder schwimmend hinterher. Schwarzfels folgte ihm.
    Wieder tanzte das Boot über dem nassen Tod. Die Fahrt währte noch lange. Doch nach dem, was geschehen war, schien dem Knaben Tschaske alles nur leicht und linde. Tokei-ihtos Hand stieß und lenkte das Boot wieder durch das wogende Schlammwasser, die Bäume und Eisschollen schwammen vorbei, fern grollte der Donner, und es blitzte. Das Boot taumelte und kreiste; Tschaske warf sich umher, damit es nicht umschlug. Allmählich merkte er, wie es sanfter ging.
    Als er sich die Zeit nahm, Umschau zu halten, war das hohe Ufer schon nahe. Ganz benommen erlebte er, daß eine kleine Bucht das Boot aufnahm. Es hob sich wieder, wie auf dem Rücken eines bockenden Pferdes, und glitt dann ans Land, Tschaske fühlte das Schaukeln, als er am Ufer anstieß. Die beiden Schwimmer standen schon am Grashang und hielten das Boot. Tokei-ihto winkte Tschaske herauszukommen. Steifbeinig gehorchte der Knabe. Der Häuptling holte noch den besinnungslosen Hapedah, den Bären, die Waffen und die Schüssel. Dann zog er das Boot herauf.
    Der Hang war sanft. Man brauchte nur wenige Schritte zu gehen und konnte schon lagern.
    Tschaske saß im Gras. Er aß einen Bissen Fleisch, weil der Häuptling es so wollte.
    Wenn er es recht hätte bedenken können, so hätte er sich gefreut, daß er jetzt den Missouri bezwungen hatte. Aber seine Gedanken wirbelten noch wie die Wasser im Tal. Er konnte sich weder freuen noch fürchten.
    Er sah nur, daß Tokei-ihto wieder aufgestanden war und den Himmel beschaute. Der Häuptling hatte den hellen Bogen und den Köcher mit den festgebundenen Pfeilen über die Schulter genommen. Der Knabe versuchte, dem Blick des Häuptlings zu folgen. Die drohenden Wolken über dem oberen Stromtal kamen ihm ins Bewußtsein. Es war gut, daß die Fahrt beendet war.
    Er spähte mit Tokei-ihto weiter in die Runde. Gegen Norden zu dehnte sich die Prärie weit, grasig, wellig und einsam, wie Tschaske sie von jeher gekannt hatte. Am Horizont zeichneten sich Anhöhen ab, sanfter als die Schwarzen Berge, aus denen man gekommen war. Der Blick Tokei-ihtos schien an diesen fernen Waldbergen hängenzubleiben, aber plötzlich wandte er sich um und schaute den Knaben an, so daß Tschaske fast

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