Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Über den Missouri

Über den Missouri

Titel: Über den Missouri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
Vom Netzwerk:
… wir haben geglaubt, daß du schon lange tot seiest.«
    »Alle schwiegen?«
    »Nein, Tschetansapa sprach für dich. Er kämpfte. Rotflügel ist an seinem Messerstich gestorben. Tschetansapa mußte fliehen und hält sich in den Felsen verborgen.«
    »Gehe hin zu dem alten Zaubermann Hawandschita und bitte ihn, die Ratsversammlung sofort einzuberufen. Ich will den Männern der Bärenbande berichten und ihnen sagen, was wir jetzt zu tun haben.«
    »Sofort? Es ist Nacht.«
    »Sofort«, wiederholte der Heimgekehrte im Ton eines nicht abweisbaren Befehls.
    »Hau. Du bist heimgekommen. Ich erfülle deinen ersten Wunsch.« Tschapa erhob sich und hinkte aus dem Zelt hinaus. Er hatte aus den vergangenen Kämpfen eine Verletzung am Bein davongetragen.
    Der junge Häuptling blieb still am Feuer sitzen. Er hatte sich prüfend umgesehen. Das Tipi war noch so reich ausgestattet wie ehedem. Die Zelte der Bärenbande waren nicht in die verlustreichen Kämpfe nördlich der Black Hills einbezogen gewesen, und die Familien besaßen noch alle ihre Habe außer den Waffen.
    Tokei-ihto beobachtete unauffällig seine Schwester und versuchte dabei, über seine eigene Erregung Herr zu bleiben. Uinonah nähte an einem Büffelpelzrock mit nach innen gekehrter Fellseite, wie ihn die Dakota im Winter zu tragen pflegten. Ihre Hände führten die aus Bein geschnitzte Ahle leicht und sicher, und sie schien ganz vertieft in ihre Tätigkeit. Eben tat sie die letzten Stiche, verwahrte das Ende der Sehne, die ihr als Faden gedient hatte, zog die Ahle heraus und ließ sie in ihre gestickte Tasche am Gürtel gleiten. Sie hob den fertigen Rock mit beiden Händen in die Höhe und betrachtete prüfend ihr Werk. Alles schien gut.
    Sie stand auf, schlug das auf dem Boden liegende riesige Bärenfell auseinander und holte ein Paar pelzgefütterte Mokassins heraus. Den Rock und die Schuhe brachte sie ihrem Bruder, dazu ein Töpfchen Bärenfett und Lederlappen, damit er sich in der gewohnten Weise einsalben und kleiden konnte. Er dankte mit einem Blick und zog sich um.
    Uinonah hatte unterdessen einen Holzrahmen mit angefangenem Sehnennetz hervorgeholt und spannte die Sehnen weiter kreuz und quer. Beim hohen Schnee benutzten die Dakota Schneereifen mit aufgebogener Spitze, um nicht einzubrechen. Es war Zeit, daß Uinonah die Arbeit vollendete, denn der Himmel war grau und die Luft schwer und feucht von kommendem Schnee.
    Mongschongschah, »Die sich beugende Weide«, arbeitete nicht. Stumm, als ob der Schmerz ihre Vernunft lahmte, saß sie an ihrem Platz und streichelte unablässig die leere Kindertrage.
    Uinonah stellte die Schneereifen fertig, noch ehe Tschapa zurückkehrte. Er blieb sehr lange aus.
    Tokei-ihto ging zu dem Bärenfell und ließ sich von der Schwester zeigen, was es noch enthielt. Uinonah schlug noch eine Lederdecke um, so daß ein Stück des Bodens sichtbar wurde, und zeigte ihrem Bruder ein Stück Grasnarbe, das abgestochen war und sich herausheben ließ. Darunter wurde ein Paket mit Waffen sichtbar, die der junge Häuptling bei seinem Ritt als Parlamentär ein Jahr zuvor nicht nach dem Fort mitgenommen, sondern im Dorf gelassen hatte: sein weißer Knochenbogen, eine elastische Keule und eine Streitaxt. Diese Waffen waren auf der Reservation verboten. Uinonah versteckte sie wieder sorgfältig.
    Tokei-ihto sah auf dem Boden auch die schweren Lederplanen seines eigenen Zeltes liegen. Das Wissen darum, daß Waffen und Zeltplanen aufbewahrt worden waren, gab ihm Kraft.
    »Sie haben schon oft in diesem Zelt gesucht, Schonka und seine Gehilfen«, berichtete Uinonah dem Bruder. »Wenn sie in das Dorf kommen, durchsuchen sie immer dieses Tipi nach Waffen. Aber noch haben sie nichts gefunden.«
    Der Häuptling setzte sich wieder an das Feuer. Auf seinen Wangen brannten Fieberflecke. Ein Schwitzbad wäre gut gewesen. Aber er hatte keine Zeit dazu. Kam Tschapa Kraushaar noch immer nicht zurück? Machte Hawandschita Schwierigkeiten? Dieser mächtige alte Zaubermann des Dorfes und der junge Kriegshäuptling hatten einander noch nie gut verstanden.
    Die einzige im Zeltdorf, die dem Geheimnismann mit ihrem Ansehen als Zauberfrau erfolgreich hatte entgegentreten können, war Untschida gewesen, die Mutter Mattotaupas.
    »Lebt unsere alte Mutter nicht mehr?« fragte der Heimgekehrte aus diesem Gedankengang heraus. Uinonah kannte den Bruder und spürte den Bruch in seiner Stimme.
    »Sie lebt noch … in Hawandschitas Zelt.«
    Tokei-ihto sagte dazu nichts. Er

Weitere Kostenlose Bücher