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Über den Missouri

Über den Missouri

Titel: Über den Missouri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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hindurchkommen. Unser Herz darf nicht müde und nicht traurig werden. Wir müssen unseren Weg heute nacht noch beginnen. Wir wollen fortziehen. Nichts anderes würden uns unsere großen Oberhäuptlinge und unsere großen Zaubermänner raten, wenn sie heute bei uns sein könnten. Wenn ihre Ohren eines Tages hören, daß wir frei geworden sind, so werden sich ihre Herzen freuen. Ich habe gesprochen, hau.«
    Als der Häuptling zu Ende gesprochen hatte, kam Hawandschita, der Alte.
    Zur gleichen Zeit hatte sich Untschida zu den Frauen gesellt. Der junge Häuptling verließ seinen Platz. Der Sitte gemäß ging er dem alten Zauberer entgegen, und als er ihn erreicht hatte, bot er ihm den Arm und führte ihn in das Tipi des Schwarzfalken. Da niemand den Eingang schloß, blieb das Zelt offen, so daß die Umstehenden Tokei-ihto und den Greis auch weiter sehen konnten. Der Häuptling führte Hawandschita zu der Feuerstelle, und der Alte ließ sich langsam nieder.
    Tokei-ihto nahm den Platz ihm gegenüber ein und winkte Uinonah, die in das Zelt zurückgekehrt war. Das Mädchen wußte, was sie zu tun hatte. Sie holte einen sorgfältig verwahrten Gegenstand, wickelte ihn aus der Lederhülle, und alle konnten jetzt die heilige Pfeife erkennen, die sie ihrem Bruder brachte, dazu den bestickten Beutel mit Tabak.
    Der Häuptling griff nach der Pfeife. Das lange Rohr war aus Eschenholz gearbeitet; es war bis zur Hälfte mit rotgefärbten Stachelschweinborsten umwickelt und mit Hermelin und dem Schwanz des seltenen weißen Büffels geziert. Der Pfeifenkopf bestand aus rotem Ton, der an den Ufern des Missouri gefunden wurde. Es hatte eine besondere Bewandtnis mit jenen heiligen Hügeln am Ufer des Missouri, von denen diese Tonerde stammte. Immerwährender Friede lag über ihnen.
    So hatte es nach dem Glauben der Indianer der geheimnisvolle, nie zeugende und nie sterbende Donnervogel die Menschen gelehrt, und das war eine Erinnerung daran, daß einst zu Beginn aller Zeiten Frieden zwischen den Menschen und auch zwischen den Menschen und den Tieren geherrscht hatte. Bei Sonnenaufgang pflegten die Söhne und Töchter der Dakota auch jetzt noch Wakantanka, die große geheimnisvolle Lebenskraft, um diesen Frieden zu bitten. Aber er war bis jetzt nicht wiedergekommen, und auch heute sollte die Pfeife des Friedens und der Beratung nur geraucht werden, um einen schweren Gang vorzubereiten.
    Tokei-ihto entzündete die Pfeife mit seinem eigenen Feuerzeug, und nun kam der Augenblick, dem alle in verborgener und großer Spannung entgegensahen. Es war Sitte, daß der Häuptling vor Beginn eines großen Unternehmens dem Geheimnismann die heilige Pfeife zum Rauchen anbot. Nahm der Zauberpriester die Pfeife und rauchte sie, so erklärte er sich damit bereit, den Häuptling zu begleiten. Nahm er sie nicht, so lehnte er das Unternehmen ab.
    »Wir brechen auf!«
    Der Greis zögerte.
    »Wir ziehen fort!«
    Die Augen des Zaubermannes weiteten sich wie in einer Vision. »Ich höre das Brüllen der Büffel und die Stimmen unserer Väter. Zu den Bergen der Großen Bärin ziehen wir zurück! Die Toten und die Büffel kommen wieder!«
    »Vorwärts über den Missouri – führt uns der Name Tashunka-witko!«
    Die Krieger erschraken, denn aus dem schroffen Wort des Häuptlings brach schon der Zwist hervor. Was sollte der Schwur der heiligen Pfeife bestätigen?
    »Wir ziehen fort …« Tokei-ihto hatte die Pfeife zum Brennen gebracht und bot sie dem Greis.
    Der Alte hob die Hand, und er nahm die Pfeife. »Wir ziehen fort.« Nach dieser letzten Entscheidung herrschte Stille im ganzen Rund. Fiel jetzt nur ein einziges Wort, so mußte Hawandschita die Pfeife fortgeben, und sie konnte nicht mehr geraucht werden.
    Der Greis stand auf und tat mit Ehrfurcht die sechs Züge, zum Himmel, zur Erde und gegen die vier Wände, nach Osten und Westen. Süden und Norden. Dann ließ er sich wieder nieder und reichte die Pfeife dem jungen Häuptling, der die sechs Züge wiederholte. Als auch er den letzten Zug getan und den Rauch ausgestoßen hatte, gab er die Pfeife Uinonah zurück, die sie verwahrte.
    Hawandschita erhob sich, und der Häuptling geleitete seinen Gast zu dessen Tipi hinüber. Still warteten alle, bis er wiederkam. Er sprach noch einmal zu ihnen. »Männer der Dakota! Wir ziehen fort. Hawandschita hat sich dafür entschieden. Entscheidet auch ihr euch!«
    Der Häuptling rauchte die kleine, rot gefärbte, kunstvoll geschnitzte Kriegspfeife an und wartete auf die

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