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Über den Missouri

Über den Missouri

Titel: Über den Missouri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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werden.
    Tokei-ihto hielt an und setzte das widerspenstige Bärenjunge auf den Höhlenboden nieder.
    »Wartet! Ich werde euch etwas zeigen und erklären.« Der Häuptling wandte sich noch einmal um und lenkte die Blicke der Knaben auf das Wasser, das aus der Höhle in den Höhlengang hereinschoß. »Bei der Quelle dieses Wassers oben im Fels befindet sich ein kleiner Höhlenraum, in dem es Gold gab«, sprach er. »Meine Vorväter und mein Vater wußten davon.
    Vom Zauberwasser benommen, hat mein Vater einmal etwas Unbestimmtes darüber gesagt. Als er nicht mehr und nichts Genaueres sagen wollte, wurde er von Red Fox getötet. Die weißen Männer haben dieses Gold nie gefunden; was sie entdeckt haben, sind die Goldadern der Felsen im Norden der Che sapa. Es befindet sich jetzt auch kein Korn Gold mehr hier. Ich habe gestern das letzte geholt. Ich glaube nicht, daß die Quelle die Goldkörner dort oben in den Fels geschafft hat. Es muß ein altes reiches Versteck gewesen sein. Nun ist es leer. – Gehen wir!«
    Der Weg führte von nun an wieder aufwärts zwischen seltsamen Felsgewächsen hindurch, steil und mühsam. Hapedah tastete mit der Linken, während seine Rechte die Fackel hochhielt.
    Das Rauschen des Wassers hinter dem Rücken der drei wurde allmählich wieder zu einem schwachen Gesang.
    Als der Schein der Fackel sich mit dem ersten Schimmer des Tageslichtes mischte, atmeten Hapedah und Tschaske tief auf, und sie glaubten schon den Geruch frischer Luft zu spüren. Nur noch wenige Schritte waren zu tun, dann standen die drei Menschen am Ausgang der Höhle in der Felswand über dem Wald.
    Hapedah löschte die Fackel.
    Der Himmel draußen war blau, die Wintersonne schien. Die Bäume senkten ihre Zweige unter Schneelasten. Krächzend riefen die Krähen. Hapedah und Tschaske sogen noch einmal die frische Luft ein. Jetzt war das dunkle Reich des Berges hinter ihnen versunken, und sie standen wieder im lebenden frohen Wintertag.
    Der Häuptling wies die Knaben zurück und betrachtete sich einen Augenblick den steilen Felsen, über dem er stand. Er löste das Lasso, setzte sich und nahm den langen geflochtenen Riemen so über die Schulter, daß die beiden freien Enden gleich lang an der Felswand herunterhingen. Mit Hilfe des Lassos kletterten die beiden Jungen schnell hinunter. Dann zog der Häuptling den Riemen ein, nahm das Bärenjunge wieder auf den Arm und sprang frei über die Wand hinab. Er erreichte den Steilhang des Waldbodens. Halb rutschend, halb springend, gewann er wieder Halt und setzte den Abstieg fort.
    Die Knaben liefen und sprangen nach Kräften, um Tokei- ihto dabei zu folgen. Mehr als einmal kugelten sie in den Schnee und stießen sich an den Stämmen.
    »Ihr müßt nicht mit den Füßen springen, sondern mit den Augen«, lehrte sie Tokei-ihto. »So weit euer Blick reicht, müßt ihr jeden guten Tritt erkennen, dann laufen die Füße von selber nach.«
    Wirklich ging es nach diesem Rat viel besser.
    Als die ersten Zelte zwischen den Bäumen grüßten, kam es den Knaben vor, als ob sie jahrelang fort gewesen seien und nun als reife Männer zurückkehrten. Bei aller Freude war ihnen beklommen zumute. Sie hatten etwas erlebt, wovon sie weder sprechen konnten noch sprechen durften.
    Die Heimkehrenden waren vom Lager aus bemerkt worden, aber sie wurden nicht mit lauten Rufen begrüßt. Stumm und mit großen verwunderten Augen standen Frauen, Knaben und Mädchen zwischen den Tipi, und die Männer nahmen die Pfeifen aus dem Mund und musterten verstohlen den Häuptling und das merkwürdige Bärenjunge, das er trug. Das weiche, etwas lockige Fell des Tieres, das in einem satten Braun abschattiert war, und die großen Tatzen mochten ihnen wohl zu denken geben. Einen solchen Bären hatten sie gewiß noch nie gesehen.
    Hawandschita stand vor seinem Zauberzelt. Sonne und Schatten spielten darüber hin. Ein leichter Wind hatte sich erhoben, der die verschneiten Äste schaukelte. Es war, als ob das Schattenspiel den Zauberzeichen auf den Zeltplanen Leben gäbe. Die große Schlange schien zu züngeln und sich zu winden. Der Alte reckte sich; er hatte seinen großen speerartigen Zauberstab zur Hand. Der Stab war mit Schlangenlinien bemalt, und während er ihn kreiseln ließ, hatte das Auge den Eindruck, als ob die Linien zu laufen begännen.
    Obgleich die Knaben das Gesicht nicht in Richtung des Zaubertipi wandten, nahmen sie das Bild verstohlen in sich auf, und eine leise Unruhe befiel sie. Aber in diesem Augenblick

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