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Über den Missouri

Über den Missouri

Titel: Über den Missouri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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zu heilen wie Hawandschita. Wißt ihr noch, wer zuerst Mut zeigte, die Reservation zu verlassen? Das sind unsere Frauen und Mädchen gewesen.«
    Die Knaben senkten beschämt die Köpfe.
    »Darum dürft ihr die Arbeit der Watschitschun auch nicht damit verächtlich machen, daß ihr sie Weiberarbeit scheltet. Die Watschitschun verstehen viel, sonst hätten sie uns nicht besiegt. Sie machen Geheimniseisen: Einer gräbt Eisen, einer schmilzt es, einer schmiedet es – und sie machen aus Eisen Pflüge, mit denen sie den harten Boden aufreißen, so daß er Frucht gibt und viele Menschen auf einem kleinen Platz ernährt. Das müssen wir auch alles lernen. Sie können Büffel züchten, so daß sie sie nicht zu jagen brauchen.«
    Hapedah und Tschaske sagten nichts.
    »Wir wollen aber noch mehr lernen und noch mehr können als die Watschitschun.«
    Die Jungen hoben die Köpfe.
    »Sagt mir – was können unsere Feinde nicht?«
    »Ihre Schwüre können sie nicht halten – sie können nicht die Wahrheit sagen – sie können nicht miteinander von der Jagdbeute leben und nicht miteinander einen Acker bebauen. Sie können die Menschen und die Tiere nicht in Frieden lassen!« rief Tschaske. »Sie sind wie Wölfe, sie greifen immer an und wollen Mensch und Tier töten – und der Stärkere unter ihnen frißt den Schwächeren.«
    »Ja, das ist wahr, Tschaske. Du hast deine Augen offen gehabt und in einer einzigen großen Sonne sehr viel gesehen. – Wir aber wollen die Wahrheit sagen, wie unsere Väter sie immer gesagt haben. Wir wollen unsere Schwüre halten, wie unsere Väter sie immer gehalten haben. Wir wollen aber noch mehr, ihr Knaben! Mit dem Sohn der Großen Bärin fängt ein neues Leben an. Wir haben eine neue Kraft und eine neue Hoffnung, die uns das große Geheimnis gegeben hat. Wir wollen einen heiligen Frieden gewinnen, Frieden mit allen Kriegern der Prärie – und Frieden mit den weißen Männern …«
    »Mit Watschitschun!« riefen die Knaben zornig, als der Häuptling nach seinen Worten eine Pause einlegte.
    »Ja, ihr müßt noch immer scharf nachdenken, Hapedah Haarkämmer und Tschaske Breitbeinig. Die Watschitschun sind nicht alle unsere Feinde. Oben bei den Waldbergen in Canada wartet Adams auf uns, der uns helfen will. Sein Vater ist von den großen und starken Wölfen unter den Watschitschun auf grausame Art getötet worden.
    Er kommt zu uns als unser Bruder, und mit ihm kommt seine Frau Cate mit den Sonnenhaaren, deren Vater von Red Fox ermordet worden ist. Bei Adams, denke ich, werden wir auch die Brüder Thomas und Theo finden, die mich mit Adams und Tschapa zusammen aus meinen Fesseln befreien wollten und dann vor Red Fox und Roach fliehen mußten.«
    »Ja, ja.«
    »Adams, Thomas und Theo werden unsere Brüder sein und Cate unsere Schwester. Mit ihnen können wir in Frieden leben und voneinander lernen.«
    »Das ist gut«, meinte Hapedah. Seine Augen bekamen wieder Glanz.
    Der Häuptling erhob sich. »Kommt mit, Tschaske und Hapedah. Ich habe gestern Gold geholt. Wir wollen uns in Canada so viel gutes Land und Vieh kaufen, wie wir brauchen, um ohne wilde Büffel, aber als freie Männer zu leben.«
    »Ja!«
    »Ihr werdet mir weiter helfen müssen, ihr Knaben, so wie ihr mir heute schon einmal helfen wolltet. Denn unsere Männer wissen noch nichts von unserem Geheimnis. Sie werden wieder Büffel jagen wollen, und sie werden uns nur schwer verstehen. Tschapa ist der einzige, der schon mit uns verbündet ist.« Der Häuptling erhob sich, aber ehe er ging, wandte er sich noch einmal an die Große Bärin.
    »Sie gehört dem Großen Geheimnis«, sprach er. »Keine Menschenhand soll sie mehr berühren. Hierher ist sie gekommen, um zu sterben, und hier werden wir sie ruhen lassen, bis sie zergangen ist.«
    Leise strichen die Finger der Knaben zum Abschied über das Fell der alten Bärin.
    Tokei-ihto nahm das Bärenjunge. Hapedah ging als Fackelträger auf dem Heimweg voran. Er beleuchtete den Weg in dem Höhlengang, durch den die Brüder im Dunkeln gekommen waren. Abwärts ging es erst dem rauschenden Wasser zu.
    Das Getöse wurde immer stärker, und schließlich sah Hapedah im Fackelschein die dahinschießende Flut des unterirdischen Baches, durch den sie auf dem Herweg gewatet waren. Rechter Hand floß das Wasser durch eine große Öffnung im Felsen ab, und Hapedah erkannte nachträglich, daß schon ein einziger falscher Tritt genügt hätte, um mit der Flut in den finsteren Bauch des Berges hinabgerissen zu

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