Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Über den Missouri

Über den Missouri

Titel: Über den Missouri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
Vom Netzwerk:
dann mit gedämpfter Stimme, deren Laut wie eine feierliche
    Klage klang. »Das haben die Goldsucher getan.« Er richtete sich in die Höhe und wies nach dem finsteren Loch an der jenseitigen Wand der Höhlenhalle, aus dem die Bärin mit ihrem Jungen gekommen war. »Auch dort geht es lange durch den Berg hindurch, bis zu seiner Nordseite. Da wohnen sie, die das Gold suchen. Sie haben auf sie geschossen, und nun ist sie in ihren Berg gekommen, um das Junge zu retten.«
    Das Bärenjunge kletterte an der toten Mutter herum.
    Das Häuptling hatte seine Pfeife losgenestelt. Er rieb mit Stöckchen und schwammigem Holze Feuer und brachte den Tabak zum Brennen. Nachdem er die Pfeife dem Himmel und der Erde geboten hatte, rauchte er sie; es war eine Handlung der Weihe. Als er zu Ende geraucht hatte, traf sein Blick wieder den der Knaben. Die Lippen des Häuptlings waren ganz schmal geworden, die Haut über seinen hohlen Wangen hatte sich gestrafft. Die Strenge seines Ausdrucks verbarg das Gefühl.
    »Habt ihr euch opfern wollen – für mich?«
    Den Knaben stieg das Blut in die Schläfen. Sie wichen den Augen des Häuptlings aus. Woher kannte Tokei-ihto ihr Geheimnis? Sie sagten nichts. Ihr Schweigen hieß
    »Ja«.
    Tokei-ihto erhob sich, und die Knaben standen zugleich auf. Er winkte ihnen, da kamen sie, um die tote Bärin zu berühren. Der Häuptling faßte die Jungen fest ins Auge. Jeder von ihnen glaubte, daß er ihn ganz allein ansehe.
    »Ihr habt wie Männer gehandelt, Hapedah und Tschaske. Ihr habt mehr getan, als mancher Mann zu tun vermöchte. Darum will ich euch jetzt auch mehr vertrauen, als ich selbst den Männern vertraut habe.«
    Tokei-ihto setzte sich mit den beiden Knaben noch einmal zu der toten Bärin. Er lockte das Bärenjunge und nahm das zappelnde und kratzende Tier auf den Arm.
    »Hier sind wir«, sagte er, »am Anfang unseres Stammes, dessen Almfrau die Große Bärin war, und zugleich an seinem Ende. Wir, die Vertriebenen, sind bei der Toten. Aber die Tote hat uns ein Kind zurückgelassen, das ist ein neues Leben. Versteht ihr mich?«
    »Hau«, antworteten die Knaben wie aus einem Mund.
    »Antwortet mir auf eine Frage. Wir wandern mit den Zelten der Bärenbande nach dem Land des Nordens, Canada. Wie werden wir dort leben?«
    »Frei in neuen Jagdgründen. Wir werden jagen, wandern und kämpfen, wie wir es immer getan haben, seit der Sohn der Großen Bärin unsere Häuptlinge zeugte«, antwortete Hapedah voll Mut und Hoffnung.
    »Das glaubst du, Hapedah Haarkämmer. Aber es ist nicht wahr. Wir können wieder jagen und kämpfen, vielleicht fünf, vielleicht zehn und, wenn es sehr lange ist, vielleicht zwanzig große Sonnen. Dann kommen die weißen Männer in Scharen auch nach dem Land des Nordens, und sie werden uns wieder besiegen.«
    Die Knaben senkten die Köpfe. Hapedah zuckte und biß sich auf die Lippen, bis sie bluteten.
    »Nun sagt mir«, sprach der Häuptling – und Hapedah hörte die Stimme vor Aufregung nur wie aus weiter Ferne –, »warum gehen wir dann überhaupt fort von hier mit Mühen und Gefahren und verlassen den großen Stamm der Dakota?«
    Die Knaben schwiegen, denn sie wußten keine Antwort. Bedrückt stierten sie auf die tote Bärin.
    »Eure Gedanken stehen jetzt vor einem Berg, den müßt ihr mit euren Gedanken durchbohren. Sagt mir zuerst: Warum haben die Watschitschun uns besiegt?«
    »Weil ihrer zu viele sind …«, sagte Tschaske.
    »Weil sie Mazzawaken haben …«, meinte Hapedah.
    »Warum aber sind wir nicht so viele, und warum haben wir keine Geheimniseisen? Ich weiß, daß ihr mir darauf keine Antwort geben könnt, und ich kann euch auf meine eigene Frage auch keine genaue Auskunft geben. Unser Verstand ist nicht geringer als der der Watschitschun, und unsere Arme sind nicht schwächer als die ihren. Das habe ich erprobt, als ich bei ihnen war, und auch im Kampf gesehen. Also vermögen wir das zu lernen, was die Watschitschun schon können.«
    »Weiberarbeit.« Die beiden Blutsbrüder sagten es trotzig und voll Verachtung.
    »Ja, Hapedah Haarkämmer, mit Weiberarbeit haben die Watschitschun uns besiegt. Du mußt erst einmal darüber nachdenken, Tschetansapas Sohn, ob die Weiber und Tiere verächtlich sind. Unsere Vorväter dachten darüber anders. Sie glaubten, daß die Ahne meines Geschlechts ein Tier gewesen sei und eine große Geheimnisfrau, die die Rätsel der Welt kannte.
    Untschida und Uinonah kennen heute noch die Kräuter und vermögen die Wunden der Krieger so gut

Weitere Kostenlose Bücher