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Über den Missouri

Über den Missouri

Titel: Über den Missouri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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hielt Tokei-ihto den Schritt an und hob das Bärenjunge hoch. Hawandschita schien zu erstarren, dann verschwand er durch den Zeltschlitz in das Innere seiner Behausung, schnell, mit einer huschenden, furchtsam wirkenden Bewegung.
    Uinonah und Mongschongschah hatten vor dem Tipi Tschetansapas gearbeitet. Als sie sich jetzt aufrichteten, stand in Mongschongschahs Zügen das Erstaunen geschrieben, in Uinonahs Antlitz aber war mehr zu lesen. Ein Mensch, der von Angst gewürgt worden war, konnte plötzlich wieder Luft schöpfen.
    Wo blieben Tschetansapa, Tschapa und Tobias? Diese drei Männer und Untschida konnten die Knaben nirgends entdecken.
    Erst als sie mit Tokei-ihto das Häuptlingszelt betraten, erblickten sie die Krieger, die um die unbenutzte Feuerstelle in der Mitte des Zeltes gesessen und scheinbar mit tiefem Ernst beraten hatten. Im Hintergrund befand sich Untschida; sie ließ jetzt die Hand sinken, die sie betend vor den Mund gehalten hatte. Die drei Krieger sprangen auf.
    Tokei-ihto ging zur Zeltmitte. Er lächelte; das Lächeln erschien den Knaben schön wie die Sonne nach der Nacht, und nur sie und Untschida kannten die Tiefe des Geheimnisses, über der dieses Lächeln erschien. Ohne ein Wort zu sagen, dachten beide das gleiche: Sie erinnerten sich des Tages, an dem Tokei-ihto nach der langen Verbannungszeit des Vaters zurückgekehrt war und sie zum erstenmal freundlich angesehen hatte. Heute waren sie mit dem Häuptling verbunden wie jüngere Brüder.
    Uinonah und Mongschongschah kamen in das Zelt herein und bereiteten mit Untschida zusammen das Essen. Die Jungen bissen herzhaft zu. Tokei-ihto hatte sich schon bei Tschapa, Schwarzfalke und Tobias niedergelassen. Er kämpfte mit seinem ungebärdigen Riesenkind, das sich an dem warmen, weichen Hals des Mannes festzubeißen und daran zu saugen versuchte. Als er die Zähne des kleinen Ungetüms halb unwillig, halb lachend wieder gelöst hatte, sah man die Blutspuren an seinem Hals.
    »Es muß etwas geschehen«, erklärte der Delaware, und das war das erste Wort, das gesprochen wurde. »Kann dieses Untier fressen?«
    »Nein, es hat noch keine drei Monde gesehen. Aber es wird lernen müssen zu fressen, wenn es nicht sterben will.«
    Uinonah kam mit einem Pulver aus zerriebenen Beeren herbei, wie es die Kinder neben ihrer Fleischmahlzeit zu erhalten pflegten, und versuchte es dem Bärenjungen einzustopfen, aber das Tier fand keinen Gefallen daran. Mit tückischer Beharrlichkeit strebte es nach Tokei-ihtos Hals und krallte sich angstvoll an dem Häuptling fest.
    »Geh, Tobias, fange ihm ein paar Fische. Das ist es, was seine Verwandten in der Heimat fressen.«
    »Seine Verwandten? Haben Tokei-ihtos Augen jemals schon ein solches Tier gesehen?«
    »Droben bei der Weltecke, aus der der Nordsturm bläst, gibt es solche Bären. Die Watschitschun nennen das Land Alaska. Sie sagen, daß es zur Zeit unserer Urväter überall solche großen Bären gegeben habe, die in Höhlen lebten. Wir wollen das Bärenkind mitnehmen. Es soll uns über den Mini-Sose begleiten. Seine Mutter hat es mir gegeben, als sie starb. Die Schießeisen der Goldgräber haben sie getötet.«
    Der Delaware erhob sich. Er ließ sich von Uinonah etwas rohes Fleisch geben und verließ damit das Zelt. Hapedah und Tschaske begleiteten ihn, um ihm beim Angeln zu helfen. Sie sprangen erst zu den Pferden und stahlen ihnen einige Haare aus ihren langen Schweifen. Die knüpften sie zu dünnen, aber haltbaren Angelschnüren zusammen. Lange Weidenzweige waren am Flußufer zu finden, und so waren die Angeln rasch hergestellt. Die Fischer warfen die Schnur. Der Delaware hatte zuerst Glück. Auch Hapedah konnte bald eine Beute zeigen; Tschaske aber war leer ausgegangen. Da die beiden gefangenen Fische zunächst genügen mochten, kehrten Tobias und die beiden Jungen damit ins Zelt zurück.
    Der Häuptling zerkleinerte das Fischfleisch, und mit seinen Fingern, die sein Pflegling jetzt als Saugobjekt erkoren hatte, stopfte er ihm die Nahrung in den Schlund. Das Kleine schluckte und verlangte begierig nach mehr. Das Spiel war gewonnen.
    Hapedah und Tschaske waren von den Ereignissen noch so beeindruckt und aufgeregt, daß es einer Mahnung der Krieger bedurfte, ehe sie sich zur Ruhe begaben. Die Mitte des Tages war schon überschritten, und für den Abend war der Aufbruch aus dem Lager angesetzt. Der Wille des Häuptlings galt wieder unumschränkt.
    Als ob einer des anderen Gedanken gelesen habe, sagte Hapedah zu

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