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Über den Wassern

Über den Wassern

Titel: Über den Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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blödsinnige Idee, und das habe ich ihnen auch gesagt.«
    »Du hast es also gewußt - und mich nicht gewarnt?«
    »So ist es, Nid.«
    »Wenn du dich aber nicht an einer Meuterei beteiligst, dann ist es deine Pflicht, den Kapitän zu unterrichten, was da vorgeht. So lautet das Seegesetz. Du hast das nicht getan.«
    »Sehr richtig«, sagte Lawler. »Das hab ich nicht.«
    Delagard überdachte das eine Weile. Dann zuckte er die Achseln und nickte. »Also schön, Doc. Ich denke, ich habe kapiert.« Er blickte in die Runde. »Jemand soll das Deck saubermachen! Ich hasse es, wenn das Deck nicht klar und das Schiff dreckig ist!« Er zeigte auf Felk, der wie behämmert aussah. »Onyos, du übernimmst das Ruder, solang du noch irgendwie halb wach bist. Ich muß mir den blöden Kratzer da verarzten lassen. Also, los, komm schon, Doc! Ich denke, ich kann mich dir anvertrauen, jedenfalls um mich zu nähen.«
    UM MITTAG KAM WIND auf. Von einem Augenblick zum anderen, als wäre Henders’ Tod auf irgendeine Art ein Beschwichtigungsopfer gewesen für die wie immer beschaffenen Götter, die auf Hydros das Wetter beherrschten. In der weiten Stille der langanhaltenden Kalmenperiode erklang auf einmal das Brausen von Windstößen, die von weither kamen: bis vom Pol herauf. Und es waren wirklich starke südliche Luftmassen und beißend kalt.
    Die See ging hoch. Das so lange ruhig treibende Schiff torkelte in Wellentäler, richtete sich wieder auf und sackte in neue Tiefen. Dann verfinsterte sich der Himmel mit einer Plötzlichkeit, die fast bestürzend war. Und der Wind trug Regen heran.
    »Eimer!« brüllte Delagard. »Fässer!«
    Keiner brauchte angetrieben zu werden. Auch die Freiwache unter Deck war sofort hellwach, und es wimmelte an Deck von eifrigen Gasten. Alles, worin sich Wasser halten würde, wurde herangeschleppt, um den Regen aufzufangen, nicht bloß wie gewöhnlich die Kummen, Fässer und Töpfe, sondern auch saubere Lappen, Decken, Kleidungsstücke... alles wasserabsorbierende Material, das man nach dem Regen auswringen konnte. Der letzte Regen lag Wochen zurück. Und es konnte sehr wohl wieder Wochen bis zum nächsten dauern.
    Dieser Regen kam aber auch als eine Ablenkung und wirkte wie ein Balsam gegen den Schock nach Henders’ fehlgeschlagener Meuterei und seinem gewaltsamen Tod. Lawler, der nackend durch den kühlen Regen rannte wie alle anderen, um die kleineren Gefäße in die größeren Vorratsbehälter zu leeren, empfand dafür Dankbarkeit. Die gespenstische Alptraumszene auf eben diesem Deck hier hatte ihn auf ganz unerwartete Weise mitgenommen und etliche seiner mühsam angelegten Schutzschichten absplittern lassen. Es war lange her, daß er sich dermaßen unbedarft, laienhaft und verletzlich gefühlt hatte. Spritzendes Blut, klaffendes, zerfetztes, rohes Fleisch, sogar der plötzliche Tod waren Routineerfahrungen für ihn, sozusagen Berufsalltag, und er war daran gewöhnt und ließ sie sachlich an sich abgleiten. Aber ein glatter Mord? Noch zuvor aber hatte er mitangesehen, wie ein Mensch glatt ermordet wurde. Er hatte sich so etwas auch noch nie als eine potentielle Erfahrung vorgestellt gehabt. Bei dem ganzen bravourösen Geschwätz von Dag Tharp während der letzten paar Wochen, daß man Delagard über Bord ins Meer werfen wolle, war Lawler wirklich kein einziges Mal der Gedanke gekommen, daß ein Mensch tatsächlich dazu fähig sein könnte, einem anderen Menschen das Leben zu nehmen, und er konnte es immer noch kaum glauben. Aber es war nun einmal zweifelsfrei so, daß Delagard Henders in Notwehr getötet hatte. Nur - er hatte es kaltblütig getan, skrupellos, ganz beiläufig und routinemäßig. Lawler kam sich auf eine erniedrigende Weise naiv und dumm vor angesichts dieser harten häßlichen realen Tatsachen. Der weise alte Doc Lawler, der Mann, dem nichts fremd ist, kriegt kalte Füße wegen eines kleinen Vorfalls von archaischer Gewalttätigkeit? Es war absurd. Und doch war es so und war absolut real. Es hatte ihn zutiefst getroffen, und das Zusehen hatte seine innere Sicherheit zerstört.
    Doch, ja, archaisch war schon das treffende Wort dafür. Die Unbekümmertheit und Kaltblütigkeit, mit der Delagard sich seines Verfolgers entledigte, hatte etwas durchaus Archaisches gehabt, wenn nicht gar etwas Urzeitlich-Prähistorisch-Primitves: Da war eine Hand aus der dunklen Vergangenheit aufgetaucht und hatte getötet, in einem finsteren Akt wie aus dem Frühzeitgrauen der Menschheit, der an diesem Morgen

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