Über den Wassern
Takelung hingen Leo Martello und Pilya Braun, gleichfalls wie erstarrt, und schauten verblüfft und benommen zu.
»Dag!« brüllte Henders. »Um des Erlösers willen, Dag! Wo bist du denn? Hilf mir doch, den Kerl fertigzumachen, Mann!«
»Hier! Hier bin ich - hier drüben«, flüsterte der Funker heiser mit einer Stimme, die keine fünf Meter weit zu hören war. Und rührte sich nicht von der Stelle.
»Um Christi willen!« sagte Henders noch einmal, diesmal angewidert. Er drohte Tharp mit der Faust und sprang erneut in einem verzweifelten Satz auf Delagard zu, um ihn zu erwischen. Doch es gelang Delagard wieder - wenn auch nur knapp -, der scharfen Gaffelspitze auszuweichen. Er warf einen Blick über die Schulter zurück und fluchte. Sein Gesicht glänzte von Schweiß, seine Augen funkelten in heller Wut.
Als er auf seiner im Kreis laufenden Flucht am Vormast vorbeikam, blickte Delagard nach oben und rief mit peitschender Stimme zu Pilya hinauf, die direkt über ihm auf der Rah hing: »Hilf mir! Schnell! Dein Messer!«
Hastig löste Pilya den Leibgurt von der Taille, in dem sie stets ihre scharfe Knochenklinge trug, und warf alles zusammen zu Delagard hinunter. Er fing es in der Luft auf, riß die Klinge aus der Halterung und packte sie am Griff. Dann wuchtete er sich überraschend um seine eigene Achse und ging direkt auf den überraschten Henders los, der hinter ihm her in solch heftigem Tempo herankam, daß er nicht mehr bremsen konnte. Henders lief direkt in Delagard hinein. Der stieß mit einer brüsken, festen Unterarmbewegung den Spieß beiseite, unterlief seinen Gegner und stieß Henderson die Klinge bis zum Heft in den Hals.
Henderson stieß ein keuchendes Grunzen aus und warf die Arme in die Höhe. Auf seinem Gesicht lag ein erstaunter Ausdruck: Die Gaffel flog davon. Delagard umarmte nun Henders, als wären sie Liebende, und griff mit der anderen Hand fest nach seinem Nacken, und preßte den Mann mit einer gräßlichen Zärtlichkeit an sich, und das Messer saß immer noch tief in Henders Kehle.
Seine Augen waren weit aufgerissen und traten hervor, und sie schimmerten wie Vollmonde im Grau der Dämmerung. Dann gab er einen gurgelnden Laut von sich, und aus seinem Mund schoß sprudelnd dunkles Blut. Die Zunge quoll heraus. Und Delagard hielt ihn weiter in fester Umarmung aufrecht.
Endlich kam Lawler die Stimme wieder.
»Nid - um Gottes willen! Nid, was hast du getan...?«
»Möchtest du gern der nächste sein, Doc?« fragte Delagard gelassen. Er zog mit einer brutalen Drehung das Messer heraus und wich zurück. Sofort schoß ein dicker heftiger Blutstrahl aus Henders’ Hals. Sein Gesicht war dunkel geworden. Unsicher machte er einen Schritt nach vorn, und noch einen, wie einer, der im Schlaf geht. Die Verblüffung schimmerte noch immer in den weit aufgerissenen Augen.
Dann torkelte er und fiel hin. Lawler wußte, daß er tot war, ehe er auf das Deck auftraf.
Pilya war aus der Takelung heruntergestiegen. Delagard kickte das Messer über die Decksplanken, direkt vor ihre Füße. »Danke«, sagte er beiläufig. »Dafür schulde ich dir was.« Dann hob er den toten Henders auf, als hätte der überhaupt kein Gewicht, einen Arm um die Schultern des Toten, den anderen in den Kniekehlen, schritt an die Reling, hievte die Leiche über seinen Kopf und warf sie ins Meer, als wäre es eine Ladung Abfall.
Tharp hatte keine einzige Bewegung gemacht. Delagard ging zu ihm hinüber an die Reling und schlug ihn so heftig ins Gesicht, daß sein Kopf wegprallte.
»Du hinterhältiger feiger kleiner Hund du, Dag!« sagte Delagard. »Du hast noch nicht mal Mumm genug gehabt, bei deinem eigenen miesen Komplott mitzumachen. Ich sollte dich auch gleich über Bord schmeißen, aber es lohnt die Mühe nicht.«
»Nid - um Himmels willen, Nid...«
»Hält’s Maul und verzieh dich aus meinen Augen!« Delagard wirbelte herum und funkelte Onyos Felk an: »Und du, Onyos? Was ist mit dir? Hast du auch was damit zu tun?«
»Aber ich doch nicht, Nid. Ich würde doch nie - das weißt du doch!«
»Ich doch nicht, Nid!« äffte Delagard ihn wütend nach. »Klar hättest mitgemacht, du armselige Schwuchtel, wenn du genug Saft in deinem Dings hättest! Und wie isses mit dir, Lawler? Wirst du mich zusammenflicken, oder gehörst auch du zu der verdammten Verschwörung? Du warst ja noch nicht mal dabei. Was hast du getrieben? Deine eigene Meuterei verschlafen?«
»Ich war nicht daran beteiligt«, sagte Lawler ruhig. »Es war eine
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