Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Über den Wassern

Über den Wassern

Titel: Über den Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
Vom Netzwerk:
spazieren; er war zusammengeschrumpft und sah gelblich aus, und es war klar, daß er nicht mehr sehr lange zu leben haben würde. Er war ein sehr alter Mann, so alt, daß er sich sogar noch an einige der Siedler der ersten Generation erinnern konnte, sogar noch an seinen eigenen Großvater, an Harry Lawler, den ‚Gründer-Harry’.
    »Ich hab da etwas für dich, Junge«, sagte der Großvater. »Da komm her. Näher! Siehst du das Bord da, Valben? Mit den Dingen von der ERDE drauf? Bring sie mir her.«
    Es gab da vier ERD-Dinge, zwei flache, runde aus Metall, ein großes aus rostigem Metall und ein Stück bemalter Tonscherben. Es waren einmal sechs Stücke gewesen. Aber die kleine Statuette und das rohe Steinstück befanden sich damals bereits im Vaargh von Valbens Vater. Der Großvater hatte schon damit begonnen, seinen Besitz weiterzugeben.
    »Da, Junge«, sagte der alte Mann. »Ich möchte, daß das dir gehört. Es ist von meinem Großvater Harry, und der hat es von seinem Großvater, der es von der ERDE mitnahm, als er in den Raum ging. Und nun gehört es dir.« Und er reichte ihm den orange und schwarz bemalten Tonscherben.
    »Nicht für meinen Vater? Für meinen Bruder?«
    »Nein, dies ist für dich«, sagte der Großvater. »Damit es dich an die ERDE erinnert. Du wirst aber gut darauf achtgeben und es nicht verlieren, ja? Denn wir besitzen nur sechs Dinge von der ERDE, und wenn sie uns verlorengehen, können wir sie nie mehr ersetzen. Da, nimm. Nimm!« Und er drückte Valben das Tonstück in die Hand. »Das stammt aus Griechenland. Vielleicht hat es einmal Sokrates gehört. Oder Platon. Und nun gehört es dir.«
    Dies war das letzte Mal, daß er mit seinem Großvater gesprochen hatte.
    Danach trug er monatelang den bemalten Scherben überall mit sich herum. Und wenn er mit den Fingern über die gezackte Bruchstelle strich, schien es ihm, als werde die ERDE in seiner Hand wieder lebendig, als spräche aus diesem Stückchen gebrannten Tons Sokrates persönlich zu ihm, oder Platon. Wer immer sie gewesen sein mochten.
    ER WAR FÜNFZEHN. Sein Bruder Coirey, der davongelaufen war, um zur See zu fahren, war zu Besuch heimgekommen. Er war neun Jahre älter, der älteste von den einst drei Brüdern, doch der mittlere, der junge Bernat, war schon vor so langer Zeit gestorben, daß Valben sich kaum noch an ihn erinnern konnte. Coirey hatte eines Tages der nächste Inseldoktor werden sollen, hatte aber dafür kein Interesse aufbringen mögen. Das Amt eines Doktors hätte ihn an eine einzige Insel gebunden. Aber Coirey sehnte sich nach dem Meer, dem Meer, dem weiten Meer. Und so war er fortgegangen - aufs Meer; und Briefe waren von ihm eingetroffen, von Orten, die für Valben nur Namen bedeuteten: Velmise und Sembilor und Thetopal und Meisa Meisanda; und nun war Coirey selbst zurückgekommen, nur für einen kurzen Zwischenstop auf Sorve auf der Fahrt nach einem Ort namens Sumbalimak, der in einem Azur-See genannten Meer lag, so weit weg, daß es fast wie auf einer anderen Welt erschien.
    Valben hatte seinen Bruder vier Jahre nicht mehr gesehen. Und er wußte nicht, was er erwarten sollte. Der Mann, der dann eintrat, hatte das Gesicht seines Vaters, das Gesicht, das auch er allmählich bekam, mit kräftigen Zügen, starker Kieferpartie, langer gerader Nase, doch er war dermaßen von Sonne und Wind gebräunt, daß seine Haut aussah wie ein Stück alter Fischhautteppich, und über die eine Wange lief eine scharfe Narbe, rötlichblau vom Auge bis zum Mundwinkel. »Da hat mich ein Fleischfisch erwischt«, sagte er. »Aber ich hab ihn auch erwischt.« Und er knuffte Valbens Oberarmmuskel. »He, Junge, du bist gewachsen. Du bist genauso lang wie ich, Mann, wahrhaftig. Aber leichter bist du. Was du brauchst, das ist ein bißchen mehr Fleisch auf die Knochen.« Coirey zwinkerte ihm zu. »Willste nicht irgendwann mal mit mir nach Meisa Meisanda mitkommen? Die kennen sich dort aus mit dem Essen. Jeder Tag ein Festtag. Und die Weiber, Junge! Die Weiber!« Er runzelte die Stirn und sagte: »Du stehst doch auf Weiber, oder? Klar tuste das. Richtig? Also, wie wär’s damit, Val? Wenn ich von Simbalimak zurückkomme, machst du dann ‘nen Trip nach Meisa Meisanda mit mir?«
    »Aber du weißt doch, ich kann hier nicht weg, Coirey. Ich muß doch studieren.«
    »Studieren?«
    »Vater bringt mir die Medizin bei.«
    »Ah ja, richtig. Das hatte ich doch glatt vergessen. Du wirst ja der nächste Doktor Lawler sein. Aber deswegen kannst du doch

Weitere Kostenlose Bücher