Ueber Deutschland
sich vermählt, so soll doch die allmählige Aufrollung der dargestellten Gegenstände hauptsächlich dazu dienen, Gefühle und Charactere zu entwickeln. Folglich hat der Dichter Recht, wenn er die theatralische Handlung bisweilen inne halten läßt, um die himmlische Musik der Seele anzustimmen. Man kann sich, so wie im Leben, also auch in der Kunst, sammeln, und einen Augenblick dem, was in und um uns vorgeht, sich entrücken.
Die historische Zeit, in welche das Leben und die Handlungen der Jungfrau von Orleans fallen, ist vorzüglich geeignet, den französischen Character in seiner ganzen Schönheit zu zeigen; damals nehmlich zeichnete sich, vor allen übrigen in Europa, diese Nation durch einen unverfälschten Glauben, eine blinde Ehrfurcht vor dem schönen Geschlecht, einen an Unbesonnenheit glänzenden Edelsinn im Kriege, aus.
Man denke sich ein junges sechszehnjähriges Mädchen, von majestätischem Wuchse, aber noch kindischen Zügen, weiblich, zart, und ohne andre Kraft, als die ihr von oben herabkommt; man denke sich eine Begeisterte im Glauben; einen Dichter, wenn sie im Namen des Geistes spricht, der in ihr waltet; in ihren Reden bald eine überirdische Intelligenz, bald eine Unwissenheit in allem verrathend, was ihr der Himmel nicht offenbaret hat. Also hat Schiller sich seine Jungfrau und ihre Rolle gedacht. Er läßt sie, in der ersten Scene, zu Vaucouleurs in der ländlichen Wohnung ihres Vaters auftreten. Dort hört sie von den Unglücksfällen Frankreichs sprechen. Die Beschreibung entflammt ihr Gemüth. Ihr alter Vater schilt ihre Traurigkeit, ihre Schwärmerei, ihren Enthusiasmus. Er vermag nicht, in das Geheimniß des Außerordentlichen einzudringen, und sieht Böses in allem, was er nicht gewohnt ist zu sehen. Ein Landmann bringt einen Helm, den eine Zigeunerin ihm mit geheimnißvoller Gebehrde zugestellt hat. Johanna ergreift den Helm. «Mein ist der Helm!» ruft sie aus, setzt ihn auf; und die Ihrigen werden von dem Feuer ihrer Blicke ergriffen. Jetzt erhebt sie die Stimme, weissagt Frankreichs Triumph und die Niederlage der Feinde. Einer der Umstehenden, ein Stück von einem Freigeist, derselbe, der den Helm gebracht, spricht: «es geschehen keine Wunder mehr!»
Ja, ruft sie aus:
Es geschehn noch Wunder. – Eine weiße Taube
Wird fliegen und mit Adlerskühnheit diese Geier
Anfallen, die das Vaterland zerreißen.
Darnieder kämpfen wird sie diesen stolzen
Burgund, den Reichsverräther, diesen Talbot
Den himmelstürmend hunderthändigen,
Und diesen Salsbury, den Tempelschänder,
Und diese frechen Inselwohner alle
Wie eine Heerde Lämmer vor sich jagen.
Der Herr wird mit ihr seyn, der Schlachten Gott.
Sein zitterndes Geschöpf wird er erwählen,
Durch eine zarte Jungfrau wird er sich
Verherrlichen, denn er ist der Allmächt'ge!
Ihre Schwestern entfernen sich. Der Vater verlangt von ihr, daß sie an ihr Tagewerk gehe, und die Gedanken an jene große Ereignisse fahren lasse, die sich nicht für arme Landleute geziemen. Mit diesen Worten verläßt er sie; sie bleibt allein, und, im Begriff, auf immer dem Aufenthalt ihrer Jugend zu entsagen, ergreifen sie zugleich Sehnsucht und Wehmuth.
Lebt wohl ihr Berge, ihr geliebten Triften,
Ihr traulich stillen Thäler lebet wohl!
Johanna wird nun nicht mehr auf euch wandeln,
Johanna sagt euch ewig Lebewohl.
Ihr Wiesen, die ich wässerte! Ihr Bäume,
Die ich gepflanzet, grünet fröhlich fort!
Lebt wohl, ihr Grotten und ihr kühlen Brunnen!
Du Echo, holde Stimme dieses Thals,
Die oft mir Antwort gab auf meine Lieder,
Johanna geht und nimmer kehrt sie wieder!
Ihr Plätze alle meiner stillen Freuden
Euch laß ich hinter mir auf immerdar!
Zerstreuet euch ihr Lämmer auf der Heiden,
Ihr seyd jetzt eine hirtenlose Schaar,
Denn eine andre Heerde muß ich weiden,
Dort auf dem blut'gen Felde der Gefahr,
So ist des Geistes Ruf an mich ergangen,
Mich treibt nicht eitles, irdisches Verlangen.
Denn der zu Mosen auf des Horebs Höhen
Im feur'gen Busch sich flammend niederließ,
Und ihm befahl, vor Pharao zu stehen,
Der einst den frommen Knaben Isai's,
Den Hirten, sich zum Streiter ausersehen,
Der stets den Hirten gnädig sich bewies,
Er sprach zu mir aus dieses Baumes Zweigen:
«Geh hin! du sollst auf Erden für mich zeugen.
In rauhes Erz sollst du die Glieder schnüren,
Mit Stahl bedecken deine zarte Brust,
Nicht Männerliebe darf dein Herz berühren
Mit sünd'gen Flammen eitler Erdenlust,
Nie wird der Brautkranz deine
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