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Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germaine de Staël
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die daraus entstehende glänzende Mannigfaltigkeit ist bewundernswürdig. Die deutsche Sprache ist der Zusammensetzungen weit mächtiger als die französische. Göthe scheint sie insgesamt benutzt zu haben, um mit Tönen, wie mit Bildern, die seltene Ueberspannung von Ironie und Schwärmerei, von Traurigkeit und guter Laune auszudrücken, die ihm in diesem Werke zur Seite standen. Es hieße in der That zu viel Naivheit verrathen, wenn man voraussetzen wollte, ein Mann wie Göthe, wisse und fühle nicht die Fehler wider den guten Geschmack, die man seinem Stücke vorwerfen kann; aber es verlohnt sich der Mühe, die Beweggründe aufzufinden, die ihn vermocht haben, diese Fehler, ich will nicht sagen, stehen zu lassen, sondern vorsätzlich hinein zu arbeiten.
    Göthe hat sich in diesem Spiele keiner bisherigen Gattung unterworfen; es ist weder eine Tragödie, noch ein Roman. Er hat sich vorgenommen, in seinem Machwerke jeden nüchternen Gang im Denken abzuschwören; man würde Ähnlichkeit mit dem Geiste des Aristophanes finden, wenn Shakespeares Pathos nicht Schönheiten ganz anderer Art hineinflöchte. Faust erregt Staunen, Rührung, sogar Thränen; läßt aber kein sanftes Gefühl in der Seele zurück. Zwar wird der Eigendünkel und das Laster schrecklich bestraft; gleichwohl fühlt man in dieser Strafe nicht die wohlthätige Hand des Zuchtmeisters. Man sollte vielmehr glauben, das böse Princip selbst richte die Rache wider das Verbrechen, das es begehen hieß; und die Gewissensqual, wie sie hier geschildert wird, scheint, eben so wie die Vergehung, auf die sie folgt, aus der Hölle zu entspringen.
    Der Glaube an böse Geister findet sich in vielen Dichtungen der Deutschen; die Natur des Nordens stimmt ganz zu dieser ängstlichen Gemüthsart. Es ist in Deutschland bei weitem nicht so lächerlich, wie es in Frankreich seyn würde, sich des Teufels in Dichtungen zu bedienen. In so fern wir dergleichen Ideen aus dem literarischen Gesichtspunkt betrachten, bleibt es ausgemacht, daß unsre Einbildungskraft sich etwas bildlich darstellt, was dem Begriffe eines bösen Geistes, entweder im menschlichen Herzen, oder in der Natur, entspricht. Der Mensch thut oft das Böse auf eine so zu sagen uneigennützige Weise, ohne Zweck, ja selbst in zweckwidriger Hinsicht, bloß um eine gewisse innere Bitterkeit zu befriedigen, die das Bedürfniß zu schaden in ihm rege macht. Neben den Gottheiten des Heidenthums gab es andre Gottheiten aus dem Titanengeschlechte; diese stellten die empörten Kräfte der Natur vor. Eben so sollte man dafür halten, daß die bösen Neigungen des Gemüths in der Gestalt der bösen Geister personificirt werden. 
    Es ist unmöglich, Faust zu lesen, ohne daß er das Denken auf tausenderlei Weise anrege; man streitet sich mit dem Verfasser herum; man klagt ihn an; man spricht ihn los; er giebt über alles zu denken, giebt, um mich des Ausdrucks eines naiven Gelehrten des Mittelalters zu bedienen – nachzudenken über alles, und über noch etwas mehr [De omnibus rebus et quibusdam aliis.] . Der Tadel, dem ein Werk dieser Art ausgesetzt seyn muß, ist vorher zu sehen; oder, besser zu sagen, die Gattung eines Werks dieser Art, ist es, die den Tadel noch mehr auffordert, als die Ausführung; denn eine solche Composition kann nur als ein Traum beurtheilt werden; und sollte der gute Geschmack beständig an der elfenbeinernen Thüre der Träume Wache halten, um jeden derselben in die verabredete Form zu zwängen, so würden sie selten die Einbildungskraft treffen.
    Uebrigens ist Faust keinesweges ein gutes Muster. Man mag das Werk als das Resultat der Verirrung des Verstandes oder der Sättigung der Vernunft ansehen; so viel ist gewiß: es ist zu wünschen, daß sich dergleichen Erscheinungen nicht vervielfältigen; wenn aber ein Genie, wie Göthe's, alle Fesseln von sich wirft, drängen sich ihm die Gedanken in solcher Fülle entgegen, daß sie von allen Seiten die Gränzsteine der Kunst überschreiten und umstürzen.
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II. Abtheilung. Literatur und Kunst (Fortsetzung.)
Vier und zwanzigstes Capitel. Die Weihe der Kraft. Attila. Die Söhne des Thales. Das Kreuz an der Ostsee. Der vier und zwanzigste Februar, von Werner.
    Seitdem Schiller todt ist, und Göthe nicht mehr für das Theater schreibt, ist Werner unter den dramatischen Schriftstellern Deutschlands der erste; keiner hat mehr als er über die Tragödie den Reiz und die Würde der lyrischen Poesie verbreitet; was ihn aber als

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