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Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germaine de Staël
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Martin Luther angewandt, den man sich als einen wohlgenährten, gelehrten, scholastischen Mönch denkt, auf welchen der allerromanhafteste Ausdruck, den man der modernen Theorie der schönen Künste abborgen kann, auf keine Weise paßt.
    Zwei Engel, in der Gestalt eines Jünglings, Luthers Famulus, und eines Mädchens, Catharinens jüngerer Freundin, scheinen das Stück mit Hyacinthen und Palmen, wie mit den Symbolen der Reinheit und des Glaubens, zu durchwirken. Beide Engel verschwinden zuletzt, die Einbildungskraft folgt ihnen in die Lüfte nach; aber das Pathetische ist weniger eindringend, wenn man, um es zu erregen und die Situation zu verschönern, sich phantastischer Bilder bedient; dadurch entsteht ein Vergnügen neuer Art, nur nicht das, welches eine Folge der Gemüthsrührung ist; denn innere Bewegung ohne Sympathie ist unmöglich. Auf der Bühne will man schon einmal die Personen als wirkliche Wesen beurtheilen; ihre Handlungen tadeln, billigen; man will sie errathen, sie begreifen, sich in ihre Stelle versetzen, um das ganze Interesse des wirklichen Lebens zu fühlen, ohne die Gefahren desselben theilen zu dürfen.
    Werners Meinungen in Hinsicht auf Religion und Liebe verdienen die tiefste Untersuchung, dürfen nicht leichtsinnig behandelt werden. Was er fühlt, ist allerdings für ihn wahr; da aber, besonders in diesem Punkt, die Art zu sehen und die Eindrücke jedes Einzelnen so sehr von einander abweichen, so sollte sich freilich nicht, zur Fortpflanzung seiner persönlichen Meinungen, der Schriftsteller einer wesentlich allgemeinen und populären Kunst, der dramatischen, bedienen.
    Eine zweite Arbeit Werners, ein überaus schönes und originelles Kunstwerk, ist sein Attila . Der Verfasser stellt diese Geissel Gottes in dem Augenblick auf, wo er vor den Mauern von Rom steht. Der erste Act beginnt mit dem Wehklagen der Weiber und Kinder, die aus dem in einen Aschenhaufen verwandelten Aquileja flüchten. Dieser Eingang, nicht durch Worte, sondern durch Handlung ausgedrückt, erregt nicht nur großes Interesse, sobald der Vorhang aufrollt, sondern giebt von Attila's Macht einen furchtbaren Begriff. Wer für die Bühne arbeitet, muß die Kunst verstehen, seine Hauptpersonen mehr in der Wirkung, die sie bei den übrigen hervorbringen, als in einer noch so getreuen Schilderung aufzustellen. Ein einziger Mann, durch die Tausende vervielfältigt, die ihm unterworfen sind, erfüllt Asien und Europa mit Entsetzen. Welch' ein Riesengemälde des unumschränkten Willens stellt dieser Anblick nicht auf!
    Neben Attila steht seine Vertraute, eine burgundische Prinzessin Hildegunde. Er will sie ehelichen, glaubt sich von ihr geliebt; sie aber nährt einen unauslöschlichen Groll gegen ihn, weil er ihren Vater und ihren Geliebten erschlug. Sie hat ihm ihre Hand versprochen, bloß in der Absicht, ihn zu morden; und, im Gefühl der ausgesuchtesten Rache, hat sie ihn gepflegt, als er verwundet war, damit er nicht des ehrenvollen Todes der Krieger stürbe. Dieses Weib wird gemalt, wie die Göttin des Krieges; ihr blondes Haar. ihr scharlachrothes Gewand vereinigen in ihr das Bild der Schwäche und der Wuth. Dieser mystische Charakter greift anfangs stark in die  Einbildungskraft ein; aber wenn das Mystische immer weiter geht, wenn der Dichter gar vermuthen läßt, eine höllische Macht habe sich ihrer bemeistert; wenn zuletzt nicht allein Attila von ihr in der Hochzeitnacht, sondern neben ihm sein vierzehnjähriger Sohn ermordet wird, so entweicht alle Weiblichkeit aus diesem Wesen, und der Abscheu, den sie einflößt, ist stärker als der Schauder, den sie erregt. Gleichwohl ist die Person Hildegunde's eine originelle Dichtung; in einem Epos, welches allegorische Personen zuläßt, würde diese Furie, sich unter sanften Zügen den Schritten eines Tyrannen wie die treulose Schmeichelei anschmiegend, von großer Wirkung seyn.
    Endlich erscheint er, der grause Attila, im Widerschein der Flammen des brennenden Aquileja. Er setzt sich auf eine der Ruinen von der abgebrannten Stadt, und hält sich für den Beauftragten der Gottheit, in Einem Tage das Werk von Jahrhunderten zu vollenden. Er überläßt sich einer Art von Aberglauben gegen sich, ist selbst der Gott, dem er dient, glaubt an sich, betrachtet sich als das Werkzeug der himmlischen Beschlüsse, und diese Ueberzeugung giebt seinen Verbrechen den Anstrich eines Systems von Gerechtigkeit. Er wirft seinen Feinden ihre Vergehungen vor, als wäre er nicht mit schwerern

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