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Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germaine de Staël
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Sünden belastet als sie; er ist wild und wüthend, und dabei doch ein edelmüthiger Barbar; er ist Despot, und zeigt sich als einen Sclaven seines Willens; mitten unter dem Raube der ganzen Welt lebt er wie ein gemeiner Krieger, und verlangt von der Erde nichts als die Wonne, sie zu erobern.
    Attila verwaltet das Amt eines Richters auf offenem Platze, spricht über die ihm vorgetragenen Beschuldigungen und Klagen mit dem Instincte der Natur, welcher tiefer in die Handlungen eindringt, als abstracte Gesetze, deren Entscheidungen auf alle Fälle passen. Er verdammt seinen Freund, weil er des Meineids überwiesen ist, umarmt ihn mit Thränen in den Augen, befiehlt aber zugleich, daß er von Pferden zerrissen werde. Der Gedanke an eine unerbittliche Nothwendigkeit bestimmt ihn, und sein eigner Wille scheint ihm diese Nothwendigkeit zu seyn. Die Regungen seines Gemüths haben eine Art von Schnelligkeit und Bestimmtheit, die sich jede Schattirung und Abstufung versagt; es ist, als stürze sich dieses Gemüth, wie eine physische Kraft, unwiderstehlich und ganz, in die Richtung, die es genommen hat. Bei allen seinen Verbrechen und Freveln fühlt Attila den höhern Auftrag in sich, die göttliche Gerechtigkeit auf Erden zu verwalten, und nur im Augenblick, wo er einen Brudermörder bestrafen soll, fühlt er, der eine ähnliche That beging, im tiefsten Gemüth, etwas dem strafenden Gewissen und dem Vorwurf der Reue ähnliches.
    Der zweite Act ist eine unvergleichliche Schilderung des römischen Kaiserhofes. Der Dichter bringt, mit eben so viel Scharfsinn als Genauigkeit, den Leichtsinn des jungen Kaisers Valentinian auf die Bühne; man hört ihn sprechen, ihn, dem die Gefahr seiner Krone nicht eine seiner gewohnten Vergnügungen aufopfern lässt; man hört seine übermüthige Mutter, die verwittwete Kaiserin, die dem Hasse nicht entsagt, um das Reich zu retten, aber jede Niederträchtigkeit begeht, um persönliche Gefahr abzuwenden; man hört die in ihren kleinen Ränken unermüdeten Hofschranzen, die sich noch dann einander zu schaden suchen, wenn das gemeinschaftliche Verderben hereinbricht; und das alte Rom wird von einem Barbaren gezüchtiget, weil es sich so tyrannisch gegen die Welt bezeigte. Dieses Gemälde ist der Feder eines Tacitus würdig.
    Mitten unter diesen nach dem Leben gezeichneten Charakteren zeigt sich der Papst Leo, eine erhabene Person, durch die Geschichte bekannt, und die Prinzessin Honoria, deren Erbtheil Attila von Valentinian zurückfordert, um es ihr wieder zuzustellen. Honoria liebt insgeheim und mit Leidenschaft den stolzen Hunnenkönig, den sie nie gesehen, für dessen Ruhm sie aber entbrennt. Man sieht die Absicht des Dichters; er wollte Hildegunde und Honoria zum bösen und guten Geist Attila's machen; und schon schwächt die Allegorie, die man in diesen Personen durchschimmern sieht, das dramatische Interesse, das sie einflößen könnten. Gleichwohl hebt sich dieses Interesse wieder mächtig in mehrern Scenen des Stücks. und vor allem in der, wo Attila, nachdem er Valentinians Truppen in die Flucht geschlagen, auf Rom losgeht, und auf seinem Wege dem Papst Leo, auf einer Bahre getragen und mit dem kirchlichen Pompe umgeben, begegnet.
    Leo fordert ihn im Namen Gottes auf, sich, zu beherrschen, und nicht nach Rom, nicht in die ewige Stadt zu kommen. Attila wird plötzlich von einem religiösen Schrecken ergriffen, der bisher seiner Seele fremd war. Ihn dünkt, er sehe im Himmel den Apostel Petrus, der mit bloßem Schwerte ihm den Eingang verweigert.
    Raphael hat in einem seiner schönsten Gemälde Leo's Ankunft bei Attila dargestellt. Einerseits die größte Ruhe auf dem Gesichte des wehrlosen Greises, den andere Greise, sich auf den Schutz Gottes verlassend, wie er, umgeben. Andererseits spricht Entsetzen aus den furchtbaren Zügen des Hunnenkönigs; sein Pferd selbst scheut vor dem himmlischen Lichte, und die Krieger des unüberwindlichen Eroberers senken die Blicke vor dem heiligen Mann, der furchtlos an ihnen vorüberzieht.
    Die Worte des Dichters drücken den erhabenen Sinn des Malers vollkommen aus. Leo's Rede ist ein Hymnus voll Begeisterung; auch die Art, wie die Bekehrung des Weltüberwinders angedeutet wird, scheint mir überaus schön. Attila, der bisher immer unverwandt nach der Stelle, wo Leo gewesen ist, hingeblickt hat, und, was er für eine Erscheinung hält, anstarrt, ruft einen seiner vertrautesten Krieger, Edecon, herbei:
    Attila.
Siehst du in jenen Höhen
Nicht einen

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