Ueber Deutschland
schönen Jahreszeit, die Feindseligkeit der Natur, die Rohheit, die der Kampf mit Boden und Elementen den Bewohnern mittheilen muß. Man erkennt in allen diesen Gemälden den Dichter, der aus der Quelle eigener Gefühle schöpfte, was er ausdrückt und was er beschreibt. –
Ich habe auf einem Gesellschaftstheater ein Stück von Werner, betitelt der vier und zwanzigste Februar , vorstellen sehen, worüber die Meinungen sehr getheilt sind und getheilt seyn müssen. Der Dichter versetzt uns in eine öde Schweizergegend, wohin sich eine Familie vom Lande zurückgezogen, die sich der größten Verbrechen schuldig gemacht, und der Fluch vom Vater auf den Sohn vererbt hatte. Schon erstreckt sich dieser Fluch auf das dritte Glied; der jetzige Bewohner der Einöde hatte seinen Vater zu Tode gekränkt, der sterbende Vater ihm geflucht. Der Sohn des Elenden spielt in der Jugend mit seiner Schwester ein grausames Spiel, tödtet sie, ohne es zu wissen und zu wollen, und entflieht nach der schuldlosen Schuld. Nach seiner Entweichung ist der Vater immer mehr verarmt; kein Segen ruht auf seiner Hände Werk; Feld und Garten verdorrt; das Vieh fällt um, er ist in der größten Dürftigkeit; seine Gläubiger drohen ihn aus der Hütte zu stoßen, ins Gefängniß werfen zu lassen; er sieht schon sein unglückliches Weib verlassen, und in den Eisgebirgen umherirrend. In dieser Noth trifft nach einer zwanzigjährigen Abwesenheit sein Sohn unbekannt bei ihm ein. Diesen Sohn bewegen sanfte religiöse Gefühle; er ist voller Reue, obschon seine Absicht, als er Brudermörder wurde, nichts weniger als blutig war. Er will im Vaterhause eine Zeitlang unerkannt bleiben, seinen Namen verbergen, um der Eltern Liebe zu gewinnen, noch ehe sie in ihm den Sohn wiederfanden; aber der Vater, lüstern in seinem Elende nach dem Gelde, was der Fremde bei sich führt, der in seinen Augen ein Abentheurer ist, stößt ihm – gerade am vier und zwanzigsten Februar, in der Mitternachtsstunde, am Jahrestage des väterlichen Fluchs, der sich über die ganze Familie erstreckt – ein Messer in die Brust. Der Sohn entdeckt im Sterben sein Geheimniß dem Mörder, dem doppelt strafbaren Vater- und Sohnsmörder, der in seiner Verzweiflung sich vor das Gericht stellt, das ihm sein verdientes Urtheil sprechen soll.
Diese Verwicklungen und Lagen sind gräßlich, und bringen (wer wollte es läugnen?) eine große Wirkung hervor; gleichwohl bewundert man mehr die poetische Farbe des Stücks und die immer steigenden Motive der Leidenschaften, als den Stoff und die Grundlage der Handlung.
Das schaudernde Schicksal der Atriden in eine Bauerhütte übertragen, heißt das Gemälde der Verbrechen dem Zuschauer zu nahe rücken. Der Glanz der Hoheit, der Abstand von Jahrhunderten, theilt der Bosheit selbst eine Art von Größe mit, die sich dem Ideal der Kunst näher anschließt; wo man aber das Messer, statt des Dolches sieht; wo man auf Gegenden, Sitten, Personen stößt, die man täglich vor Augen haben kann, verwandelt sich das edle Entsetzen, welches das Trauerspiel erregen soll, in die gemeine Furcht vor einem meuchelmörderischen Auftritt in einem Gukkasten.
Gleichwohl wird die Seele durch die dem väterlichen Fluche beigelegte Gewalt, wodurch er so zu sagen zur Vorsehung auf Erden wird, mächtig erschüttert. Das Fatum bei den Alten ist eine Laune des Schicksals; das christliche Fatum hingegen ist eine moralische Wahrheit unter einer furchtbaren Gestalt. Der Mensch, der seinen Gewissensbissen nicht nachgiebt, stürzt sich, durch eine Folge des in ihm aufgeregten Gefühls, in neue Verbrechen; das zurückgestoßene Gewissen verwandelt sich in ein Gespenst, welches die Vernunft verwirrt.
Die Frau des Mörders wird von einem Liede gequält, das ihr beständig gegenwärtig ist, und die Geschichte eines Vatermordes erzählt; allein, selbst im Schlafe, kann sie sich nicht erwehren, es halblaut herzusagen; es wirkt in ihr, wie jene verworrene unwillkührliche Gedanken, deren traurige Rückkehr eine innere Ahnung des bevorstehenden Schicksals zu seyn scheint.
Die Beschreibung der Alpen und ihrer Oede ist vorzüglich schön; die Wohnung des Fluchbeladenen, die Hütte, worin die Greuel vorgehen, ist abgelegen und einsam; keine Kirchglocke ertönt in der Nachbarschaft; die Stunden werden von einer alten Schlaguhr angezeigt, dem letzten Hausgeräth, von dem sich die dürftigen Bewohner nicht trennen konnten; der einförmige Schlag der Uhr, im Schooße der Gebirge, wohin kein
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