Ueber Deutschland
Leben dringt, erregt ein seltsames Schaudern. Man frägt sich: wozu braucht es der Zeit an diesem Orte? wozu das Maas der Stunden, wo kein Interesse Abwechselung in ihre Folge bringt? und die Unglückseligste von allen, die Stunde des Verbrechens, erinnert an den schönen Ausdruck eines Missionars, der den Verdammten in der Hölle die unaufhörliche Frage in den Mund legte: «Wie hoch ist es an der Zeit?» und denen beständig geantwortet wurde: «Die Stunde der Ewigkeit hat geschlagen!»
Man hat Werner den Vorwurf gemacht, er habe in seinen Tragödien Situationen, die mehr den lyrischen Schönheiten Raum geben, als sich zur Entwickelung dramatischer Leidenschaften eignen. In seinem Stück der Vier und zwanzigste Februar könnte man ihm den entgegengesetzten Vorwurf machen. Der Inhalt des Stücks, die Sitten, die es aufstellt, sind der Wahrheit zu nahe gerückt, und zwar einer gräßlichen Wahrheit, die in dem Kreise der schönen Künste keinen Eintritt finden sollte. Die schönen Künste schweben zwischen Himmel und Erde; Werners schönes Talent erhebt sich bisweilen oberhalb, bleibt bisweilen unterhalb der Regionen stehen, die das Gebiet der Dichtungen sind.
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Fünf und zwanzigstes Capitel. Einzelne Werke der Teutschen und Dänischen Bühne.
Kotzebues dramatische Werke sind in mehrere Sprachen übersetzt; folglich würde es überflüssig seyn, das Ausland mit ihnen bekannt machen zu wollen. Ich begnüge mich mit der Erklärung, daß kein unparteiischer Richter ihrem Verfasser die vollkommenste Kenntniß der theatralischen Wirkung absprechen kann. Die Versöhnung, Menschenhaß und Reue, die Hussiten, die Kreuzfahrer, Hugo Grotius, Johanna von Montfaucon, Rolla's Tod etc. erregen das lebhafteste und allgemeinste Interesse, so oft sie aufgeführt werden. Gleichwohl ist auch nicht zu leugnen, daß Kotzebue seinen Personen weder die Farbe des Jahrhunderts, in welchem sie lebten, noch den Charakter giebt, den die Geschichte ihnen beilegt. Seine Personen, aus noch so entlegenen Ländern und Zeiten, zeigen sich als Zeit- und Volksgenossen, sprechen und handeln einer wie der andre, entfalten dieselben philosophischen Meinungen, dieselben modernen Sitten; und sei es ein Mädchen von heute oder eine Sonnenjungfrau, die Herr von Kotzebue auftreten läßt, so stellt er in beiden immer ein und dasselbe natürliche und pathetische Gemälde der gegenwärtigen Zeit auf. Könnte sein theatralisches Talent, welches in Teutschland einzig in seiner Art ist, sich mit der Gabe vereinigen lassen, Charaktere zu malen, wie die Geschichte sie aufstellt; könnte seine poetische Sprache sich bis zur Höhe der Situationen erheben, deren sinnreicher Erfinder er ist, so würden seine Stücke sich eines ebenso dauerhaften Erfolgs zu erfreuen haben, als sie sich jetzt eines glänzenden Beifalls erfreuen.
Uebrigens ist nichts so selten, als in demselben Dichter beide Eigenschaften, die den großen Dramatiker ausmachen, beisammen zu treffen, nehmlich die Kunstfertigkeit, wenn ich sie so nennen darf, und den allgemeinen Ueberblick des Genies. Dieses Problem aufzulösen ist die große Schwierigkeit der menschlichen Natur überhaupt, und man kann beinahe immer bestimmt und richtig auffinden und angeben, in wem das Talent der Erfindung oder das Talent der Ausführung überwiegend ist; wer mit allen Zeiten in Verbindung lebt, oder sein Zeitalter vollkommen inne hat: gleichwohl können nur aus dem Zusammentreffen so entgegenstehender Eigenschaften, Phänomene aller Art hervor leuchten.
Die mehrsten Kotzebueschen Stücke enthalten überaus schöne Situationen. In seinen Hussiten belagert Procop, Zyska's Nachfolger, die Stadt Naumburg, und hat sie aufs äußerste gebracht. Der Magistrat beschließt endlich, die gesammten Kinder der Stadt ins feindliche Lager zu schicken, beim Feinde um Erbarmen zu flehen. Die armen Kinder sollen allein den wilden Kriegern entgegen, den Wüthrichen, die weder das Geschlecht, noch das Alter zu schonen gewohnt sind. Der Bürgermeister erbietet sich zuerst, seine vier Söhne zu schicken, deren ältester zwölf Jahre zählt, um den übrigen Muth zu machen. Die Mutter wünscht wenigstens einen zurück zu behalten; der Vater stellt sich, als füge er sich in ihr Verlangen. Nun zählt er aber hintereinander die Fehler jedes seiner Kinder auf, damit die Mutter entscheide, von wem sie sich am leichtesten trennen könne; doch sobald er eines seiner Kinder in Schatten zu stellen scheint, wird dieses der
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