Ueber Deutschland
Talma, Grieche, Römer. Ritter, ist ein Araber der Wüste, voller Kraft und Liebe. Wie gegen die Glut der Sonnenstrahlen ist sein Blick verschleiert, in seinen Gebehrden wechseln zum Erstaunen Trägheit und Ungestüm. Bald drückt ihn das Schicksal nieder, bald sieht man ihn mächtiger als die Natur selbst, über die er zu triumphiren scheint. Verschlossen trägt er in seinem Busen die Leidenschaft, die ihn verzehrt, und deren Gegenstand ein Weib ist, die er für seine Schwester hält. Sein unsicherer Gang läßt denken, daß er sich selber zu entfliehen sucht. Seine Augen wenden sich von der Geliebten ab, seine Hände stoßen das Bild zurück, das stets ihm vorschwebt, und wenn er endlich Salena an sein Herz drückt mit dem bloßen Wort «mich friert» so drückt er zugleich den Schauder der Seele und die verzehrende Glut aus, die er verhehlen will.
Man kann in den Stücken Shakespears, wie sie Dücis für unsere Bühne bearbeitet hat, viele Fehler rügen: doch müßte man sehr ungerecht seyn, um nicht auch darinnen die größten Schönheiten anzuerkennen. In seinem Herzen trägt Dücis sein dichterisches Genie, und da ist es am guten Ort. Talma spielt seine Stücke als ein Freund des schönen Talentes dieses würdigen Greises. Im französischen Macbeth wird die Hexenscene bloß erzählt; man muß Talma sehen, wie er das Gemeine und Bizarre zugleich in den Reden der Hexen nachzuahmen sucht und dennoch bei dieser Nachahmung die ganze Würde, die unsre Bühne heischt, behauptet.
Es riefen wechselnd sich, bezeugten sich
Ihr Wohlgefallen diese Ungeheuer
Mit unverstandnen Lauten. An den Mund
Geheimnißvoll den Finger drückend, traten
Sie näher, deuteten auf mich und lachten
So grimmig wild. Ich redete sie an –
Sie wichen in die Finsterniß zurück.
Ein Zepter trug die Eine, einen Dolch
Die Andre, giftgeschwollen schlang in Kreisen
Sich eine Natter in der Dritten Hand.
Und diesen Hallen zu in schnellem Flug
Entrückt sie, durch die Luft, ertönte noch
Der Gruß mir von den Scheidenden, du wirst
Die Krone tragen!
Die leise geheimnißvolle Stimme, mit der der Künstler diese Verse aussprach, seine Art, den Finger an den Mund zu legen, wie die Bildsäule des Stillschweigens; sein Blick, der bei einer grauenvollen Erinnerung sich veränderte; alles mußte zu der Schilderung einer Gattung des Wunderbaren beitragen, die auf unserer Bühne neu war, und von der keine Ueberlieferung einen Begriff geben konnte.
Othello hat jüngst auf unserer Bühne kein Glück gemacht. Es scheint, als ob Orosman den Othello gut zu verstehen hindere. Aber wenn Talma dieses Stück spielt, so ergreift der fünfte Aufzug eben so sehr, als geschähe der Mord vor unseren Augen. Ich habe Talma die letzte Scene mit seiner Frau, deren Stimme und Figur so gut für die Rolle Desdemona's passen, in einem Zimmer spielen sehen. Er strich nur die Hand über sein Haar, und zog die Stirne in Falten – der Mohr stand da, und zwei Schritt von ihm erfaßte ein Schrecken die Seele, als hätten ihn alle Blendwerke der Schaubühne umringt.
Hamlet ist unter den Tragödien fremder Gattung sein Triumph. Auf der französischen Bühne sieht der Zuschauer den Geist des alten Königes nicht, die ganze Erscheinung geht auf Talmas Gesichte vor, und wahrlich sie ist also nicht minder furchtbar. Als mitten in einem ruhigen und düsteren Gespräch er plötzlich den Geist gewahr wird, verfolgt man dessen Bewegungen alle in den Augen die ihn anstarren, und man bezweifelt die Gegenwart eines Gespenstes nicht, wenn sie ein solcher Blick bezeugt.
Im dritten Act, als Hamlet allein auftritt, und in schönen französischen Versen das berühmte Monolog to be or not to be spricht:
«Sterben – Schlafen
Schlafen – vielleicht auch träumen – ja da liegts;
Was in dem Schlaf für Träume kommen mögen,
Wenn wir den Drang des Ird'schen abgeschüttelt,
Das zwingt uns still zu stehn, das ist die Rücksicht
Die Elend läßt zu hohen Jahren kommen.»
Talma machte nicht eine Bewegung, er schüttelte nur bisweilen den Kopf, um Erde und Himmel über den Tod zu befragen. Der Ernst der Betrachtung nahm sein ganzes Wesen in Anspruch und sein Körper war regungslos; man sah in der Mitte einer schweigenden Menge einen Menschen das Denken über das Loos der Sterblichen befragen, – von den dort Versammelten werden in wenigen Jahren keine mehr am Leben seyn, aber andere an ihrer Stelle werden in denselben Zweifeln schwanken und wie sie in den unergründeten Abgrund
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