Ueber Deutschland
aufzurufen.
Welch eine Kenntniß des menschlichen Herzens entfaltet er in der Art seine Rollen zu erfassen; er wird zum zweitenmal durch Ton und Mienenspiel zu ihrem Schöpfer. Als Oedipus der Iocaste erzählt, wie er den Lajus, den er nicht kannte, getödtet, hebt er mit den Worten an: «Ich war jung und stolz.» Die mehrsten Schauspieler vor ihm glaubten dieses stolz spielen zu müssen, und erhoben, indem sie es aussprachen, das Haupt. Talma, der es wohl fühlt, daß alle Erinnerungen des stolzen Oedipus sich ihm bereits in Gewissensangst verkehren, spricht mit schüchterner Stimme diese Worte aus, die ein schon gebrochenes Selbstgefühl ausdrücken. Phorbas kommt von Corinth zu der Zeit an, wo in dem Könige eine furchtbare Ahndung von seiner Geburt aufsteigt, er begehrt eine geheime Unterredung mit ihm. Andere Schauspieler vor Talma wandten sich schnell zu ihrem Gefolge, das sie mit einem Herrscherwink entfernten. Talma behält den starren Blick auf Phorbas geheftet, er kann ihn nicht aus dem Auge verlieren, und seine Hand nur heißt mit einer Bewegung die Umstehenden sich zurücke ziehen. Noch hat er nicht gesprochen, aber seine irren Gebehrden verrathen den Kampf seiner Seele, und wann er im letzten Aufzug Iocasta mit dem Ausruf verläßt:
Ja, Lajus ist dein Vater und ich bin dein Sohn!
so wähnt man den Tartarus sich öffnen zu sehen, zu dem das Unheilfrohe Schicksal die Sterblichen hinabreißt.
In Andromache, als Hermione außer Sinnen den Orestes beschuldigt, den Pyrrhus meuchlings, ohne ihre Beistimmung, gemordet zu haben, antwortet Orestes:
Befahlst du nicht
Du selbst an diesem Ort mir seinen Tod?
Lekain soll bei diesen Versen auf jede Sylbe Nachdruck gelegt haben, als wolle er Hermionen alle Umstände des von ihr erhaltenen Befehles zurückrufen. Dies gienge bei einem Richter an, bei der Frau aber, die man liebt, muß der Schmerz, sie ungerecht und grausam zu finden, das Einzige seyn, was die Seele erfüllt, und so faßt es Talma; ein Schrei löset sich aus Orestes Herz, er spricht die ersten Worte mit Kraft, die folgenden mit zunehmender Ermattung; seine Arme sinken, die Blässe des Todes überzieht schnell sein Gesicht, und in dem Maaße seiner Entkräftung nimmt die Rührung zu in den Seelen der Zuschauer.
Die Weise, wie Talma den folgenden Monolog vorträgt, ist wunderbar schön. Bei den Worten:
Ungern ermord' ich den verehrten Fürsten,
flößt die Art Tugend, die in die Seele Orests zurückkehrt, um sie zu zerreißen, ein Mitleid ein, das selbst der genialische Dichter nicht ganz voraus berechnen konnte. Fast alle großen Schauspieler haben sich an Orestes Wahnsinn versucht, hier ist es aber besonders, wo der Adel des Gebehrden- und Mienenspiels zu der Wirkung der Verzweifelung vieles hinzufügt, desto furchtbarer ist die Macht des Schmerzes, wenn sie sich selbst in der Ruhe und Würde einer schönen Natur offenbart.
In den Stücken, deren Stoff aus der römischen Geschichte entlehnt ist, entfaltet Talma ein ganz verschiedenartiges und nicht minder hervorstechendes Talent. Man versteht den Tacitus besser, wenn man ihn in der Rolle des Nero gesehen bat. Er zeigt darin den erstaunlichen Scharfsinn seines Geistes; denn nur durch Geist vermag ein rechtschaffener Mann die Symptome der Verderbtheit zu fassen. Dennoch scheint er mir in den Rollen, bei denen man gerne den von ihm ausgedrückten Empfindungen sich hingeben mag, eine noch größere Wirkung hervorzubringen. Er hat zuerst du Belloy's Bayard den Dienst erzeigt, ihn nicht wie einen Großthuer zu nehmen, wie es die andern Schauspieler thun zu müssen glaubten, und Dank sey es Talma, dieser aufschneiderische Held ist wieder in der Tragödie schlicht und einfach, wie in der Geschichte, geworden. In dieser Rolle erinnert Talma durch sein Kostüm und durch seine einfachen und gesammelten Gebehrden an die Ritter-Statuen, die man in den alten Kirchen sieht, und man erstaunt, daß ein Mann, der das Gefühl der antiken Kunst in so hohem Grade besitzt, sich auch in den Charakter des Mittelalters zu versetzen wisse.
Talma spielt manchmal in einer Tragödie arabischen Stoffes von Dücis, in Abuffar, die Rolle des Pharan. Viele entzückende Verse verbreiten über diese Tragödie einen großen Reiz. Die Farben des Orients, die träumende Schwermuth des südlichen Asiens, das Düstere eines Himmelstriches, wo die Sonne die Natur verzehrt, anstatt sie zu verschönern, blicken auf eine bewunderungswürdige Weise aus diesem Gedichte hervor. Derselbe
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