Ueber Deutschland
der gewaltsamen Verfügung über uns selbst, beigemischt hat.
Göthe würde indeß sehr Unrecht haben, wenn er auf das bewundernswürdige Talent, das sich im Werther offenbart, mit Stolz herabsehen wollte. Nicht blos die Leiden der Liebe, sondern auch die Krankheiten der Einbildungskraft in unserem Jahrhundert, hat er darzustellen gewußt: diese Gedanken, die sich in unserem Geiste drängen, ohne daß man sie in Willens-Akte zu verwandeln vermag. Der seltsame Contrast eines Lebens, das bei weitem eintöniger ist, als das der Alten, und einer innern Existens, welche bei weitem belebter ist, verursacht eine Art von Betäubung, gleich der, die man am Rande eines Abgrundes empfindet, und die Ermüdung, die man, nach einer langen Beschauung, in sich wahrnimmt, kann uns leicht zum Herabsturz fortreißen. Göthe hat mit diesem, in seinen Resultaten so philosophischen Gemählde der Unruhen des Gemüths, eine zwar einfache, aber dem Interesse nach wunderbare, Fiktion zu verbinden gewußt. Wenn man in allen Wissenschaften für nöthig erachtet hat, die Augen durch äußerliche Zeichen zu treffen, ist es dann nicht natürlich, das Herz zu gewinnen, um große Gedanken einzuprägen ?
Romane in Briefen setzen immer mehr Empfindung als Thatsachen voraus. Nie würden die Alten auf den Einfall gerathen seyn, ihren Dichtungen diese Form zu geben ; erst seit zwei Jahrhunderten hat sich die Philosophie so bei uns eingeschlichen, daß die Zergliederung dessen, was man empfindet, einen so großen Raum in den Büchern einnimmt. Diese Manier, Romane zu schreiben, ist unstreitig minder poetisch, als die, welche gänzlich in Erzählungen besteht; allein der menschliche Geist ist gegenwärtig bei weitem weniger lüstern nach Begebenheiten, wären sie auch noch so glücklich ersonnen, als nach Bemerkungen über das, was in unseren Herzen vorgeht.
Diese Hinneigung hängt mit den großen intellectuellen Veränderungen zusammen, welche in dem Menschen Statt gefunden haben. Im Allgemeinen strebt er immer mehr dahin, sich in sich selbst zurückzuziehen. Im Innersten seines Wesens sucht er die Religion, die Liebe und den Gedanken.
Mehrere deutsche Schriftsteller haben Gespenster- und Hexengeschichten gefordert, und glauben, es sey mehr Talent in Erfindungen dieser Art, als in einem Roman, der auf einen Umstand des gemeinen Lebens gegründet ist. Dieß alles ist recht hübsch, wenn man durch natürliche Anlagen dazu bewogen wird. Indeß, zum Vortrag des Wunderbaren werden Verse erfordert, indem die Prosa dazu nicht ausreicht. Stellen die Erdichtungen Jahrhunderte und Länder dar, welche von denen, worin wir leben, sehr verschieden sind, so muß der Zauber der Poesie das Vergnügen ergänzen, welches die Ähnlichkeit mit uns gewähren würde. Die Poesie ist der beflügelte Vermittler, welcher vergangene Zeiten und fremde Nationen in eine erhabene Region versetzt, wo die Bewunderung die Stelle der Sympathie vertritt.
Ritter-Romane giebt es in Deutschland in großer Fülle. Allein man hätte sie gewissenhafter an die alten Traditionen anknüpfen sollen. Jetzt erst fängt man an, diese kostbaren Quellen aufzusuchen, und in einem Buche, das Buch der Helden genannt, hat man viele Abentheuer, mit Kraft und Einfalt erzählt, gefunden. Die Farbe dieses Stils und diese alten Sitten beizubehalten ist von großer Wichtigkeit; denn sonst verlängert man durch die Zergliederung der Empfindungen, die Erzählungen jener Zeiten, wo Ehre und Liebe auf das menschliche Herz gerade so wirkten, wie das Schicksal bei den Alten d. h. ohne daß man über die Bewegungsgründe seiner Handlungen nachdachte, und ohne daß eine Ungewißheit gestattet war.
Die philosophischen Romane haben seit einiger Zeit bei den Deutschen allen übrigen den Rang abgelaufen. Sie haben indeß keine Aehnlichkeit mit den französischen in dieser Gattung. Das heißt: sie sind nicht, wie in Voltaire, eine allgemeine Idee, die man durch ein Factum in Form eines Apologs ausspricht, sondern ein ganz unpartheiisches Gemälde des menschlichen Lebens; ein Gemälde, in welchem kein leidenschaftliches Interesse vorherrscht. Verschiedene Situationen folgen sich in allen Rangordnungen, in allen Ständen und in allen Umständen, und der Schriftsteller ist da, um sie zu erzählen. So hat Göthe seinen Wilhelm Meister gedacht; ein Werk, das in Deutschland sehr geschätzt wird, sonst aber wenig bekannt ist.
Wilhelm Meister ist voll von scharfsinnigen und geistreichen Erörterungen; man könnte daraus ein
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