Ueber Deutschland
tauchen.
Als Hamlet seiner Mutter zumuthet, bei der dargehaltenen Urne, welche die Asche ihres Gemahls in sich schließt, zu schwören, sie sey an dessen Tod unschuldig: so schwankt sie, verwirrt sich, und gesteht endlich das Verbrechen, dessen sie sich bewußt ist. Dann zückt Hamlet den Dolch, den sein Vater ihm befiehlt, in die Mutterbrust zu tauchen; im Begriff aber zuzustoßen, siegen Zärtlichkeit und Mitleid. Er wendet sich gegen den Geist seines Vaters und ruft aus: «Gnade! Gnade! mein Vater.» Aus dem Herzen drängen sich in dem Laut alle Regungen der Natur, und sich der ohnmächtigen Mutter zu Füßen werfend, sagt er ihr die zwei Verse, unerschöpflichen Mitleids voll.
«Die That ist furchtbar, scheußlich, unerhört
Doch übersteigt sie nicht des Himmels Huld.»
Man kann endlich nicht Talma nennen, ohne an Manlius erinnert zu werden. Dieses Stück machte auf dem Theater wenig Glück, der Stoff ist der des geretteten Venedigs von Otway, in die römische Geschichte übertragen. Manlius verschwört gegen den römischen Senat, er eröffnet sein Geheimniß Servilius, den er seit fünfzehn Jahren liebt. Er eröffnet es ihm, des Mißtrauens seiner anderen Freunde ungeachtet, die Manlius Schwachheit und seine Liebe zu seiner Gattin, der Tochter des Consuls, fürchten. Der Erfolg rechtfertiget ihren Verdacht. Manlius kann seiner Frau nicht verhehlen, daß das Leben ihres Vaters bedroht wird, und sie eilet, es ihm zu offenbaren. Manlius wird verhaftet, seine Anschläge entdeckt, und der Senat verdammt ihn, von dem tarpejischen Felsen gestürzt zu werden. Man hatte wohl kaum vor Talma in diesem schwach versifizirten Stück die leidenschaftliche Freundschaft von Manlius zu Servilius wahrgenommen; als ein Zettel von dem mitverschworenen Rutilius anzeigt, daß das Geheimniß verrathen ist, und durch Servilius verrathen, tritt Manlius auf, diesen Zettel in der Hand, nähert sich seinem strafbaren Freunde, den die Reue schon foltert, und, ihm die Zeilen zeigend, die ihn anklagen, fragt er ihn, «was sagst du dazu?» Ich frage alle die, die diese Worte von ihm gehört haben, können je Mienen-Spiel und Ton mehr verschiedenartige Regungen zugleich ausdrücken? Diesen Grimm, den eine innere Regung des Mitleids erweicht, diesen Zorn, den die Freundschaft bald erhöht und bald schwächt, wer konnte sie anders verständlich darthun, als der Ton, der unmittelbar, ohne Dazwischenkunft der Worte, aus der Seele in die Seele dringt. Manlius zückt den Dolch, um Servilius zu durchbohren, er sucht sein Herz und zittert es zu treffen. Die Erinnerung so vieler Jahre, während deren er Servilius liebte, zieht wie ein Nebelflor von Thränen zwischen seine Rache und seinen Freund.
Man hat weniger von dem fünften Aufzug gesprochen, und vielleicht ist Talma darin unvergleichlicher noch, als in dem vierten. Servilius hat allem getrotzt, zur Sühne für seine Schuld und um Manlius zu retten. Er hat im tiefsten Herzen beschlossen, das Loos seines Freundes, wenn dieser untergeht, zu theilen. Der Schmerz des Manlius ist durch Servilius Reue gelindert, doch will er ihm nicht gestehen, daß er ihm seinen argen Verrath verzeihe, aber verstohlen ergreift er seine Hand und nähert sie seinem Herzen, unwillkührlich suchen seine Bewegungen den strafbaren Freund, den er noch vor dem letzten Scheiden umarmen will. Wenig, fast nichts, im Gedichte konnte diese ausnehmende Schönheit einer liebenden Seele andeuten, der eine langgenährte Liebe noch heilig ist, nachdem Verrath sie zertrümmert hat. – Die Rollen Pedro's und Jaffieri's im englischen Stücke deuten diese Situation mit großer Kraft an. Unsrer französischen Tragödie weiß Talma die Kraft, die ihr abgeht, zu geben, und nichts macht seiner Kunst mehr Ehre, als die Wahrheit, mit der er das Unüberwindliche in der Freundschaft ausdrückt. Wo Leidenschaft geliebt, kann Leidenschaft hassen, aber wo die heilige Uebereinstimmung der Seelen das Band geknüpft hat, scheint selbst Frevel es nicht vernichten zu können, und man erwartet die Reue, wie nach einer langen Abwesenheit die Rückkehr.
Indem ich von Talma mit einiger Ausführlichkeit gesprochen, glaube ich nicht, mich bei einem diesem Werke fremden Gegenstande verweilt zu haben. Dieser Künstler theilt im möglichsten Maße, der französischen Tragödie mit, wovon, sey es mit Recht oder mit Unrecht, die Deutschen ihr vorwerfen, daß es ihr mangle, nämlich Eigenthümlichkeit und Natur. Er weiß in den verschiedenen Stücken, worin
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