Ueber Deutschland
er spielt, fremde Sitten-Characteristik darzustellen, und kein Schauspieler hat je durch einfachere Mittel gewaltiger zu wirken sich erkühnt. In seiner Deklamation sind Shakespeare und Racine künstlerisch verbunden, warum sollten nicht auch die dramatischen Dichter versuchen, in ihren Dichtungen zu vereinen, was dem darstellenden Künstler in seinem Spiele zu verschmelzen so vortrefflich glückte?
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Acht und zwanzigstes Capitel. Von den Romanen.
Von allen Erdichtungen sind die Romane die leichteste; es giebt also keine Bahn, in welcher die Schriftsteller der neueren Nationen sich mehr versucht hätten. Der Roman bildet, so zu sagen, den Uebergang zwischen dem wirklichen Leben und dem eingebildeten. Die Geschichte eines Jeden ist bis auf wenige Modificationen ein Roman. der große Aehnlichkeit mit denen hat, welche im Druck erscheinen; und persönliche Zurückerinnerungen ersetzen nicht selten die Erfindung. Man hat dieser Gattung größere Wichtigkeit dadurch geben wollen, daß man die Poesie, die Geschichte und die Philosophie hinein gemischt hat; allein mir scheint es, als ob man sie dadurch nur entstelle. Moralische Reflexionen und leidenschaftliche Beredsamkeit können in Romanen Platz finden; aber das Interesse der Situationen muß immer das erste Triebrad in Werken dieser Art bleiben, und nichts kann dessen Stelle ersetzen. Ist die theatralische Wirkung die unumgängliche Bedingung jedes ausgeführten Dramas, so kann eben so gewiß ein Roman weder ein gutes Werk, noch eine glückliche Dichtung seyn, wenn er nicht eine lebhafte Neugierde einflößt. Vergeblich würde man diesen Mangel durch geistreiche Digressionen ersetzen wollen, die getäuschte Erwartung der Belustigung würde eine unüberwindliche Langeweile verursachen.
Die große Menge der in Deutschland erschienenen Liebes-Romane hat den Mondschein, die Harfen, welche des Abends im Thale ertönen, und alle die Mittel, wodurch man das Gemüth sonst noch einwiegt, ein wenig lächerlich gemacht; bei dem allen ist in uns eine natürliche Anlage, welche bei dieser leichten Leserei ihre Rechnung findet, und die Sache des Genie's ist es, sich dieser Anlage zu bemächtigen, die man vergeblich bekämpfen würde. Es ist so schön, zu lieben und geliebt zu werden, daß dieser Hymnus des Lebens bis ins Unendliche modulirt werden kann, ohne daß das Herz darüber ermattet. Auf gleiche Weise kommt man immer auf einen Gesang zurück, der durch glänzende Noten verschönert ist. Ich mag indeß nicht leugnen, daß selbst die allerreinsten Romane Böses stiften; sie haben uns von den innersten Geheimnissen unseres Herzens allzuviel aufgedeckt; man kann zuletzt nichts mehr fühlen, ohne sich zu erinnern, daß man es bereits gelesen habe, und alle Schleier des Herzens sind zerrissen. Nie würden die Alten ihr Gemüth zum Gegenstand einer Erdichtung gemacht haben: Es blieb ihnen ein Allerheiligstes übrig, in welches mit eigenen Blicken einzudringen sie gefürchtet haben würden. Indeß, wenn einmal die Gattung der Romane gestattet wird, so bedarf es des Interesse; dies ist, wie Cicero von der Aktion des Redners sagt, «die dreimal nöthige Bedingung.»
Die Teutschen sind, wie die Engländer, sehr fruchtbar an Romanen, welche das häusliche Leben mahlen; aber die Sittengemählde sind in den englischen Romanen zierlicher, und mannigfaltiger in den teutschen. Trotz der Unabhängigkeit der Charaktere giebt es in England eine allgemeine Art des Seyns, welche von der guten Gesellschaft gegeben wird. Hiervon findet sich in Teutschland keine Spur. Von den auf unsere Gefühle und unsere Sitten gegründeten Romanen, welche unter den Büchern den Rang der beliebtesten Schauspiele einnehmen, könnten mehrere angeführt werden; allein keiner reicht an den Werther, der in der That nicht seines Gleichen hat. Man sieht, was Göthe's Genie hervorbringen konnte, als es noch von Leidenschaft voll war. Es heißt, daß er auf dieses Werk seiner Jugend wenig Werth lege; jene Gluth der Einbildungskraft, die ihn für den Selbstmord beinahe begeistert hatte, mag ihm jetzt tadelnswerth scheinen. Ist man noch sehr jung und hat die Entwürdigung unseres Wesens noch in nichts begonnen; so erscheint das Grab leicht als ein poetisches Bild, als ein Schlummer, umgeben von knieenden Gestalten, die uns beweinen. Man ist nicht mehr so in der Mitte des Lebens, und man begreift alsdann, warum die Religion, diese Wissenschaft unseres Herzens, das Grausenerregende des Mordes,
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