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Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germaine de Staël
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allmählig zum Schlechten ausarten kann.
    Iffland erinnert auch an die wunderbare Macht, mit der Eckhoff in Emilia Galotti zu erschüttern wußte; als Odoardo von der Buhlerin des Fürsten erfährt, daß die Ehre seiner Tochter bedroht wird, will er dieser Frau, die er nicht achtet, den Zorn und den Schmerz verhehlen, die sie in seiner Seele erweckt hat, da rupften, ihm selbst unbemerkt, seine Hände mit krampfhafter Bewegung an den Federn, die er am Hute trug, und die Wirkung war furchtbar. Nach ihm haben die Schauspieler diese Federn auszuraufen nicht vergessen, aber sie sind stets unbeachtet zur Erde gefallen, denn es regte sich wirklich nicht im Herzen, was den geringsten Bewegungen jene göttliche Wahrheit einprägen kann, die den Zuschauer erheitert. – Ifflands Theorie von den Gebehrden ist äußerst sinnreich. Er spottet über jene Windmühlenarme, die nur moralische Sprüche zu deklamiren tauglich sind, und meint, daß in der Regel wenige Gesten, und nahe am Leibe die wahren Gefühle besser bezeichnen. Hierin aber, wie in vielem, besteht die Kunst aus zwei sehr verschiedenen Theilen. Diese beruht auf der poetischen Begeisterung, jene auf dem Beobachtungsgeiste. Nachdem das Gedicht, nachdem es die Rolle erheischt, muß die eine oder die andere vorwalten, die Gesten, die die Grazie und das Gefühl des Schönen eingeben, können keinen Charakter eigenthümlich bezeichnen. Die Poesie spricht mehr das Vollkommene aus im Allgemeinen, als eine bestimmte Art zu seyn oder zu empfinden. Demnach besteht in Hinsicht auf Gebehrden die Kunst des tragischen Schauspielers darin, das Bild des poetisch Schönen in seinen Attituden darzustellen, ohne zu vernachlässigen, was die Verschiedenheit der Charaktere bezeichnen kann. – In der Vereinigung des Ideals mit der Natur besteht das ganze Gebiet der Kunst.
    Als ich den vier und zwanzigsten Februar von zwei berühmten Dichtern aufführen sah, A. W. Schlegel und Werner, ward ich von der Art ihres Vortrages wunderbar überrascht. Sie holten lange aus, um endlich sicher zu treffen, und man merkte wie unlieb ihnen frühzeitiger Beifall bei den ersten Versen gewesen wäre. Sie hatten immer nur das Ganze im Auge, zu dessen Nachtheil im Einzelnen zu glänzen, sie sich für einen Fehler angerechnet hätten. Schlegel durch sein Spiel eröffnete mir im Wernerschen Stücke das ganze Interesse einer Rolle, die ich beim Lesen fast übersehen hätte. Es war die Unschuld eines Verbrechers, das Elend eines rechtschaffenen Mannes, der im siebenten Jahre seiner Kindheit, bevor er wußte, was Verbrechen sei, ein Verbrechen begangen, und der, im Frieden mit seinem Gewissen, den Aufruhr seiner Phantasie nicht zu stillen vermochte. Ich beurtheilte den Mann, den ich vorstellen sah, wie man im Leben einen Charakter durchdringt, den, ihm unbewußt, Bewegung, Blick und Ton verrathen. In Frankreich scheinen die wenigsten Schauspieler bewußtlos bei dem, was sie thun, vielmehr blickt in allem das Studium durch, und die bezweckte Wirkung läßt sich im Voraus berechnen.
    Schröder, dem alle Teutschen Bewunderung zollen, konnte nicht ausstehen, daß man von ihm rühme, er sei in jener Stelle unvergleichlich gewesen, habe jenen Vers meisterhaft gesprochen. – Hab' ich die Rolle gut gespielt? frug er, war ich der, den ich vorstellte? Und in der That schien seine Kunst in jeder neuen Rolle eine andere zu seyn. Man würde es in Frankreich nicht wagen, die Tragödie, wie er es oft that, im gewöhnlichen Gesprächs-Ton vorzutragen. In unsern Alexandrinern ist eine gewisse allgemeine Farbe, eine hergebrachte Betonung Pflicht, und auf dieses Fußgestell, das wie die nothwendige Bedingung der Kunst ist, stützen sich die leidenschaftlichsten Bewegungen. Die französischen Schauspieler trachten in der Regel nach dem Beifall und verdienen ihn fast für jeden Vers. Die deutschen Schauspieler wollen ihn nur am Schlusse des Stückes, und erhalten ihn gewöhnlich erst dann.
    Der freiere Wechsel der Bilder und der Situationen in den deutschen Stücken giebt nothwendig einer vielgestaltigeren Kunst der Schauspieler Raum. Das stumme Spiel wird höher angerechnet und die Geduld der Zuschauer gestattet eine Menge Details, wodurch das Pathetische an Natur gewinnt. Die Kunst eines französischen Schauspielers besteht fast einzig im Vortrag der Verse. – Zu dieser Hauptkunst kommen in Deutschland mehr Nebenzweige hinzu und das Wort ist oft kaum nöthig, um zu rühren.
    Als Schröder, in der deutschen Uebersetzung des König

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