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Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germaine de Staël
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aufzuzeichnen, so kann man keine hinreißende Wirkung hervorbringen.
    Dieser Fehler ist, wie mich dünkt, in den Wahlverwandtschaften , einem Roman, den Göthe vor kurzem herausgegeben hat, zu rügen. Glückliche Gatten haben sich aufs Land zurückgezogen; der Freund des Mannes und die Nichte der Frau, werden ihre Einsamkeit mit ihnen zu theilen eingeladen. Der Freund verliebt sich in die Frau, und der Mann in das junge Mädchen. – Dieser faßt den Gedanken, seine Ehe trennen zu lassen, um sich mit der Geliebten zu verbinden, und das Mädchen ist bereit, in diesen Plan einzuwilligen. Unglückliche Ereignisse bringen sie zu dem Gefühle der Pflicht zurück, sobald sie aber die Nothwendigkeit erkennt, ihre Liebe aufzuopfern, tödtet sie der Schmerz, und der Geliebte folget ihr bald nach.
    Die Uebersetzung der Wahlverwandtschaften hat in Frankreich kein Glück gemacht, weil sich diese Dichtung im Ganzen nicht scharf ausspricht, und man ihren Zweck nicht erkennt. Diese Ungewißheit ist in Deutschland kein Tadel. Da die Ereignisse der wirklichen Welt öfters nur schwankende Resultate darbieten, läßt man sich in den Romanen, die sie schildern, dieselben Widersprüche und Zweifel gefallen. Man findet zwar in diesem Werke eine Menge Gedanken und scharfsinnige Beobachtungen, aber das Interesse stockt oft, und man findet im Romane fast so viele Lücken als im gemeinen Leben des Menschen selbst. Doch darf ein Roman nicht Memoiren gleichen; alles fesselt in dem, was wirklich da gewesen, aber Dichtung kann nur wie Wahrheit wirken, indem sie die Wahrheit übertrifft; indem sie nehmlich mehr Kraft, mehr Einheit, mehr Handlung, als die Wirklichkeit darlegt.
    Die Beschreibung des Gartens des Barons und der von der Baronin darin gemachten Verschönerungen nimmt mehr als ein Drittheil des Buches ein, und man geht mit Mühe von da aus, um sich dem tragischen Eindruck der Catastrophe hinzugeben. Der Untergang der Helden der Geschichte erscheint nur als ein zufälliges Ereigniß, weil man nicht lange vorher im Herzen vorbereitet ist, ihr Leid mit zu empfinden. Dieses Werk bietet eine seltsame Mischung des gemächlichen Lebens und der stürmischen Gefühle dar. Mit Schönheitssinn und Kraft schreitet der Dichter der größten Wirkung entgegen, und wendet sich plötzlich davon ab, als wäre es der Mühe nicht werth, sie hervorzubringen. Man sollte denken, daß ihm die Rührung schmerzlich sey, und daß er aus Trägheit des Herzens die Hälfte seines Talents unterdrücke, aus Furcht, sich selber wehe zu thun, indem er die anderen erweicht.
    Eine wichtigere Frage betrifft die Moralität dieses Werkes. Ist nehmlich der Eindruck, den es zurückläßt, der Vervollkommnung der Seele förderlich? In dieser Hinsicht kommen die Ereignisse und der Ausgang einer Dichtung in keinen Betracht. Es ist zu bekannt, daß sie in der Willkühr des Dichters stehen, als daß sie Jemandes Gewissen erwecken könnten. Die Moralität eines Romans liegt also bloß in den Empfindungen, die er erregt. Es ist nicht zu leugnen, daß in Göthes Werk eine tiefe Kenntniß des menschlichen Herzens dargelegt wird, sie ist aber von einer niederschlagenden Art. In dieser Darstellung erscheint das Leben als ziemlich gleichgültig, wie man es eben hinbringt, düster dem, der es ergründen will, dem angenehm, der ihm ausweicht, und manchen moralischen Krankheiten unterworfen, die man, wenn es seyn kann, heilen, wo nicht, daran untergehen muß. Leidenschaften sind da, Tugenden sind da, es wollen welche behaupten, man solle die einen durch die andern bekämpfen, und wieder andere versichern, es sey unthunlich. Seht und richtet, scheint der Verfasser zu sagen, der partheilos die Gründe aufzeichnet, die das Loos bald für und bald wider jede Ansicht an die Hand giebt.
    Man denke sich aber keinesweges, daß diese Zweifelsucht von der materialistischen Tendenz des achtzehnten Jahrhunderts herrühre: Göthes Ansichten sind ungleich tiefer, nicht aber tröstender für die Seele. Man erkennt in seinen Schriften eine verschmähende Philosophie, die dem Guten wie dem Bösen sagt: es soll seyn, weil es ist, und einen außerordentlichen Geist, der alle übrigen Gaben überragt, und selbst des Talents überdrüßig wird, weil es ihm zu partheiisch dünkt. Was endlich diesem Romane vorzüglich fehlt, ist ein festes und bestimmtes religiöses Gefühl. Die Hauptpersonen geben sich mehr dem Aberglauben als dem Glauben hin, und man erkennt, daß in ihrem Herzen die Religion, so wie die Liebe,

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