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Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germaine de Staël
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nur die Furcht der Umstände sind und gleichem Wechsel mit ihnen unterworfen.
    Der Verfasser zeigt sich im Gange dieses Werkes zu unbestimmt. Die Figuren, die er zeichnet, und die Meinungen, die er andeutet, lassen in der Erinnerung nur schwankende Spuren zurück. Man muß es gestehen, zuweilen wird durch vieles Denken in unserer tiefsten Seele alles erschüttert, aber ein Mann von Genie, wie Göthe, soll seinen Bewunderern zu einem Führer werden, zu einer sicheren Fahne. Es ist für ihn nicht mehr an der Zeit, zu zweifeln, nicht in beide Schaalen der Wage scharfsinnige Gedanken zu legen, er muß sich dem Zutrauen, der Begeisterung hingeben, der Bewunderung, die die ewige Jugend der Seele fortdauernd in uns selbst bewahren kann. Das ist der goldene Zweig, der nicht welkt, und der Sybille den Eingang der elysäischen Felder zusichert.
    Tiek verdient in mehreren Dichtungsarten angeführt zu werden, er ist Verfasser eines Romans, der für den Leser bezaubernd ist. Die Ereignisse sind im Sternbald in geringer Anzahl und nicht einmal bis zur Auflösung geführt, doch kann man wohl nirgends eine reizendere Schilderung des Künstlerlebens finden. Der Dichter versetzt seinen Helden in die schöne Zeit der Künste, und macht ihn zum Schüler Albrecht Dürers und Zeitgenossen Raphaels. Er läßt ihn durch verschiedene Länder Europa's reisen, und malt mit einem unbekannten Zauber die Lust, die der an äußerlichen Gegenständen finden muß, welcher keinem Lande, keinem Verhältniß ausschließlich angehört, und frei durch die Natur wandelt, um in ihr Begeisterung und Vorbilder zu suchen. Dieses wandelnde und zugleich träumerische Leben kann nur in Deutschland ganz empfunden werden. Wir beschreiben immer in unsern Romanen die Sitten und geselligen Verhältnisse; aber in dieser Phantasie, die über die Erde, die sie durchstreift, erhaben schwebt, und nicht in das wirkliche Interesse der Welt eingeht, liegt ein großes Geheimniß des Glückes. 
    Fast immer verweigert das Schicksal den armen Sterblichen ein glückliches Loos, und Verhältnisse und Umstände, die sich nach ihren Wünschen fügen; doch ist ihnen mehrstens der Augenblick hold, und die Gegenwart, wenn man sie von der Erinnerung und von der Ahndung befreien kann, ist immer noch die beste Zeit des Menschen. In diesem Genusse des Augenblickes, der das Leben des Künstlers ausmacht, liegt also eine sehr weise, poetische Philosophie. Die neuen Prospekte der Landschaft und die Beleuchtung, die sie verherrlicht, sind flüchtige Begebenheiten für ihn, die mit Vergangenheit und Zukunft nichts zu theilen haben. Die Regungen des Herzens entfremden uns dem Bilde der Natur und man erstaunt, indem man Tieks Roman liest, über alle Wunder, die uns ungeahndet umringen.
    Mehrere der Gedichte, die der Verfasser der Geschichte eingeflochten hat, sind wahre Meisterwerke. Verse, einem französischen Roman beigemischt, unterbrechen in der Regel das Interesse, und zerstören die Harmonie des Ganzen. Nicht also im Sternbald. Es ist an sich eine so poetische Dichtung, daß die Prosa darin wie ein Recitativ erscheint, das dem Gesang folgt oder ihn vorbereitet. Ein Gedicht über die Rückkehr des Frühlings ist berauschend, wie die Natur selbst in dieser Jahreszeit. Tausendgestaltig wird die Kindheit dargestellt. – Der Mensch, die Pflanzen, die Erde, der Himmel, alles so jung, so reich an Hoffnung; – man sollte meinen, daß der Dichter die ersten schönen Tage und die ersten Blumen besinget, welche die neuerschaffene Erde schmückten.
    Die französische Literatur hat mehrere komische Romane aufzuweisen, unter welchen Gil Blas einer der ausgezeichnetsten ist. – Ich glaube nicht, daß die Deutschen ihm ein Werk entgegen zu setzen hätten, wo mit gleichem Witze und gleicher Laune über die Dinge des Lebens gescherzt werde. Sie haben kaum eine wirkliche Welt, wie könnten sie schon mit derselben ihr Spiel treiben? Der ernste Witz, der nichts bespottet, belustigt, ohne es zu wollen, und, ohne selbst zu lachen, Lachen erregt, was mit einem Wort die Engländer humour nennen, ist auch in mehreren deutschen Schriften einheimisch, welche aber zu übersetzen unmöglich ist. – Wenn der Witz im glücklich durchgeführten Ausdruck eines philosophischen Gedankens liegt, wie im Gulliver von Swift, so läßt er sich ungefährdet in eine andere Sprache übertragen; aber der Tristram Shandy von Sterne verliert im Französischen fast alle Anmuth. Der Witz, der in den Formen der Sprache beruht, sagt

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