Ueber Deutschland
Continentalsystem. Derselbe A. W. Schlegel hat auch vor einigen Jahren zu Paris eine Vergleichung der Phädra des Euripides und der des Racine drucken lassen. Sie machte großen Lärm unter den Pariser Literatoren; aber niemand konnte läugnen, daß Schlegel, wenn gleich ein Deutscher, das Französische gut genug schrieb, um das Recht zu haben, über Racine zu sprechen.]
Man kann A. W. Schlegels Manier, wenn er von Poesie spricht, mit Winkelmanns Manier in seinen Beschreibungen alter Denkmäler vergleichen; und nur so ist man Kunstrichter auf eine würdige Weise. Alle Menschen vom Metier genügen, so lange es nur darauf ankommt, die Fehler oder Nachlässigkeiten nachzuweisen, die man zu vermeiden hat; aber nach dem Genie giebt es nichts, das ihm so ähnlich wäre, als die Kraft, es zu erkennen und zu bewundern.
Da Friedrich Schlegel sich mit der Philosophie beschäftigt hat: so hat er sich der Literatur minder ausschließend gewidmet, als sein Bruder. Inzwischen vereinigt die Abhandlung, die er über die intellectuelle Kultur der Griechen und Römer geschrieben hat, in einem engen Raume Ansichten und Resultate der ersten Ordnung. Friedrich Schlegel ist einer von den berühmten Männern Deutschlands, dessen Geist sehr viel Eigentümlichkeit hat; allein weit entfernt, sich dieser Eigenthümlichkeit zu vertrauen, hat er sie durch unermeßliche Studien unterstützen wollen. Es ist ein starker Beweis von Achtung für das menschliche Geschlecht, wenn man zu demselben nicht allein aus sich selbst, und ohne sich gewissenhaft um das von unseren Vorgängern hinterlassene Erbtheil bekümmert zu haben, spricht. In Hinsicht der Reichthümer des menschlichen Geistes sind die Deutschen die wahren Eigenthümer; die, welche sich an ihren natürlichen Einsichten halten, sind in Vergleichung mit ihnen nur Vorfechter.
Jetzt, nachdem ich den seltenen Talenten der beiden Schlegel habe Gerechtigkeit widerfahren lassen, muß untersucht werden, worin die Partheilichkeit besteht, die man ihnen zum Vorwurf macht, und von welcher mehrere ihrer Schriften nicht freigesprochen werden können. Sie neigen sichtbar zum Mittelalter und zu den Meinungen hin, welche dieser Epoche eigen waren. Das Ritterthum ohne Flecken, der Glaube ohne Gränzen, und die Poesie ohne Reflexion, scheinen ihnen unzertrennlich, und sie möchten die Geister und Gemüther gern in diese alte Bahn zurückführen. A. Wilh. Schlegel drückt seine Bewunderung für das Mittelalter in mehrern seiner Schriften aus, besonders aber in den beiden folgenden Stanzen:
Eins war Europa in den großen Zeiten,
Ein Vaterland, deß Boden hehr entsprossen,
Was Edle kann in Tod und Leben leiten.
Ein Ritterthum schuf Kämpfer zu Genossen,
Für Einen Glauben wollten alle streiten,
Die Herzen waren Einer Lieb' erschlossen;
Da war auch Eine Poesie erklungen,
In Einem Sinn, nur in verschiednen Zungen!
Nun ist der Vorzeit hohe Kraft zerronnen,
Man wagt es, sie der Barbarei zu zeihen.
Sie haben enge Weisheit sich ersonnen:
Was Ohnmacht nicht begreift, sind Träumereien.
Doch, mit unheiligem Gemüth begonnen,
Will nichts, was göttlich ist von Art, gedeihen.
Ach, diese Zeit hat Glauben nicht, noch Liebe:
Wo wäre denn die Hoffnung, die ihr bliebe?
– Meinungen, deren Tendenz so bestimmt angegeben ist, müssen nothwendig die Unpartheilichkeit der Urtheile über Werke der Kunst erschüttern. Ohne allen Zweifel – und ich habe es im Laufe dieser Schrift unaufhörlich wiederholt – ohne allen Zweifel ist sehr zu wünschen, daß die moderne Literatur auf unsere Geschichte und unseren Glauben gegründet werde. Daraus folgt aber nicht, daß die literarischen Produkte des Mittelalters als wirklich gute Produkte betrachtet werden können. Ihre kräftige Einfalt, der reine und gesetzliche Charakter, der sich darin offenbart, erregen ein lebhaftes Interesse; aber die Kenntniß des Alterthums und die Fortschritte der Civilisation haben uns Vortheile verschafft, die keinesweges zu verachten sind. Es kommt darauf nicht an, wie man die Kunst rückgängig mache, sondern, wie man, so weit es möglich ist, die verschiedenen Eigenschaften vereinige, die in verschiedenen Epochen in dem menschlichen Geiste entwickelt worden sind.
Man hat die beiden Schlegel der Ungerechtigkeit gegen die französische Literatur beschuldigt. Gleichwohl hat es niemals Schriftsteller gegeben, welche mit mehr Enthusiasmus von dem Genie der Troubadours und von dem französischen Ritterthum gesprochen haben, das in der That
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