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Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germaine de Staël
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der Offenbarung Ausnahmen gestattet; allein es kommt mir vor, als habe eine von den Ursachen der verminderten Achtung für die Religion gerade darin gelegen, daß man sie von allen Wissenschaften getrennt hat, gerade als ob Philosophie, Raisonnement und alles, was bey irdischen Angelegenheiten geschätzt wird, sich mit keiner Anwendung auf die Religion vertrage. Eine stillverlachende Verehrung sondert sie von allen Angelegenheiten des Lebens, und um sie, so zu sagen, aus dem Kreise des Geistes herauszuführen, macht man ihr Verbeugungen über Verbeugungen; während sie in Ländern, wo ein religiöser Glaube herrscht, der Mittelpunkt der Ideen ist, und die Philosophie recht eigentlich darin besteht, den göttlichen Wahrheiten eine vernünftige Auslegung zu geben.
    Als Descartes schrieb, war Bacons Philosophie noch nicht nach Frankreich gekommen, und man befand sich noch auf eben dem Punkte scholastischer Unwissenheit und Abergläubigkeit, wie zur Epoche, wo der große Denker Englands seine Werke bekannt machte. Es giebt aber zwei Manieren, die Vorurtheile der Menschen zu berichtigen; nehmlich Zurückkommen auf die Erfahrung und Appellation an das Nachdenken. Bacon schlug den ersten, Descartes den zweiten Weg ein. Der eine erwies den Wissenschaften unermeßliche Dienste; der andere dem Gedanken, der die Quelle aller Wissenschaften ist.
    Bacon war ein Mann von weit größerem Genie und weit umfassenderen Einsichten, als Descartes. Er verstand die Kunst, seine Philosophie in der materiellen Welt zu gründen. Descartes Philosophie wurde durch die Gelehrten verschrieen, welche seine Meinungen über das Welt-System mit Erfolg angriffen. Er konnte in seinen Forschungen über die Seele sehr richtig raisonniren, und sich in Hinsicht der physischen Gesetze des Universums täuschen; da aber die Urtheile der Menschen beinahe ohne Ausnahme auf ein blindes und schnelles Vertrauen zu Analogien gegründet sind: so hat man geglaubt, daß, wer die Außenwelt so schlecht beobachte, sich auf das , was in unserem Innern vorgeht, nicht besser verstehen müsse. In seiner Schreibart hat Descartes eine treuherzige Einfachheit, welche Vertrauen einflößt, und die Macht seines Genies dürfte nicht bestritten werden können. Indeß, wenn man ihn mit den deutschen Philosophen oder mit Platon vergleicht: so kann man in seinen Werken weder die Theorie des Idealismus in ihrer Abgezogenheit, noch die poetische Einbildungskraft finden, die ihre Schönheit ausmacht. Bei dem allen war ein lichter Strahl durch Descartes Geist gefahren, und ihm vor allen gebührt die Ehre, die neuere Philosophie zu seiner Zeit auf die innere Entwickelung der Seele gerichtet zu haben. Es brachte eine große Wirkung hervor, als er von allen angenommenen Wahrheiten an die Forschung des Nachdenkens appellirte, und man bewunderte folgende Axiome: Ich denke, also bin ich, also habe ich einen Schöpfer, der die vollkommene Quelle meiner unvollkommenen Vermögen ist; alles, was außer uns da ist, kann in Zweifel gezogen werden, das Wahre ist nur in unserer Seele, und sie ist die höchste Richterin über das Wahre.
    Der allgemeine Zweifel ist das ABC der Philosophie. Jeder fängt, wenn er zu den Prinzipen der Dinge aufsteigen will, mit seinen eigenen Kenntnissen zu raisonniren an; aber die Autorität des Aristoteles hatte die dogmatischen Formen in Europa so eisern gemacht, daß man erstaunte über die Kühnheit des Descartes, welcher alle Meinungen dem natürlichen Urtheil unterwarf. 
    Die Schriftsteller von Port-Royal bildeten sich in seiner Schule; auch haben die Franzosen im siebzehnten Jahrhundert weit strengere Denker gehabt, als im achtzehnten. Neben der Anmuth und dem Zauber des Geistes kündigte ein gewisser Ernst im Charakter den Einfluß an, den eine Philosophie ausüben mußte, welche alle unsere Ideen der Macht des Nachdenkens zuschrieb.
    Mallebranche, Descartes erster Schüler, ist ein Mann, der mit dem Genie des Gemüths in einem hohen Grade begabt ist. In dem achtzehnten Jahrhundert hat man ihn als einen Träumer betrachten wollen, und wenn man in Frankreich in einen solchen Ruf kommt, so ist man verloren; denn an ihn knüpft sich die Neben-Idee, daß man zu nichts zu gebrauchen ist, was allen sogenannten vernünftigen Leuten höchst mißfällt. Allein ist das Wort Nützlichkeit wohl edel genug, um Anwendung auf die Bedürfnisse der Seele zu gestatten?
    Die französischen Schriftsteller des achtzehnten Jahrhunderts verstanden sich besser auf die politische, die

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