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Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germaine de Staël
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und Helvetius, ob sie gleich Zeitgenossen waren, auch das Gepräge dieser beiden so verschiedenen Epochen. Denn, wiewohl das ganze System der Sensationen-Philosophie in seinem Princip schlecht ist, so dürfen doch die Folgerungen, welche Helvetius daraus herleitete, nicht einem Condillac zur Last gelegt werden; er war weit davon entfernt, ihnen seinen Beifall zu geben.
    Condillac hat die Experimental-Metaphysik bei weitem deutlicher und auffallender dargestellt, als sie in Locke ist; er hat sie, im strengsten Sinne des Worts, dem gemeinen Fassungsvermögen angepaßt. Er sagt mit Locke: die Seele könne keine Idee haben, die sie nicht durch die Sensationen erhalte; er schreibt unseren Bedürfnissen den Ursprung unserer Kenntnisse und der Sprache zu, so wie den Worten, den Ursprung des Nachdenkens; und indem er uns auf diese Weise die ganze Entwickelung unseres moralischen Wesens durch äußere Gegenstände erhalten läßt, erklärt er die menschliche Natur wie eine positive Wissenschaft auf eine nette und in mancher Hinsicht unbestreitbare Weise: denn, wenn man in sich nicht den angebornen Herzensglauben, noch ein von aller Erfahrung unabhängiges Gewissen, noch einen schöpferischen Geist in der Vollkraft dieses Ausdrucks wahrnähme: so könnte man sich mit dieser mechanischen Definition der menschlichen Seele wohl begnügen. Sehr natürlich wird man durch diese leichte Lösung des größten aller Probleme verführt. Allein diese scheinbare Einfachheit besteht nur in der Methode; der Gegenstand, auf welchen man sie anwenden zu können wähnt, bleibt deshalb nicht weniger von unbekannter Unermeßlichkeit, und das Räthsel, das wir in uns schließen, frißt, wie die Sphinx, tausende von Systemen, welche auf den Ruhm ausgehen, das Wort errathen zu haben.
    Condillac's Werk sollte in keinem anderen Lichte betrachtet werden, als in dem eines Buchs mehr über einen unerschöpflichen Gegenstand. Wäre der Einfluß dieses Buchs nur minder verderblich gewesen! Helvetius, welcher aus der Philosophie alle direkten Folgerungen zieht, die sie erlauben kann, behauptet: daß, wenn die Hände des Menschen wie der Huf eines Pferdes gebildet wären, der Mensch nur die Intelligenz des Pferdes haben würde. Wahrlich, wenn dem so wäre, so würde es sehr ungerecht seyn, uns die Fehler oder die Verdienste unserer Handlungen zuzuschreiben; denn der Unterschied, der unter der Organisation statt fände, würde auch den Unterschied der Charaktere rechtfertigen und begreiflich machen.
    Auf die Meinungen des Helvetius folgten die des Systems der Natur, welche auf gänzliche Vernichtung der Gottheit im Universum und des freien Willens im Menschen abzweckten. Locke, Condillac, Helvetius und der Urheber des unglücklichen Systemes der Natur verfolgten eine und dieselbe Bahn. Die ersten Schritte waren unschuldig; denn weder Locke noch Condillac ahneten das Gefährliche in den Prinzipen ihrer Philosophie. Allein nur allzubald dehnte sich der schwarze Punkt, den man am intellectuellen Horizont kaum bemerkte, so aus, daß er das Universum und den Menschen in die Finsterniß zurückstürzte.
    Die äußeren Gegenstände sind, sagte man, das Bewegende aller Eindrücke, die wir erhalten. Nichts schien also angemessener und angenehmer, als sich der physischen Welt hinzugeben, und sich an dem großen Feste der Natur zu Gaste zu bitten. Allein allmählig vertrocknete die innere Quelle, und selbst die Einbildungskraft, deren es zur Schwelgerei und zum Genuß des Vergnügens bedarf, verwelkte in einem so hohen Grade, daß man kaum noch so viel Seele übrig behielt, um irgend ein Glück, wie materiell es auch seyn mochte, genießen zu können.
    Unsterblichkeit der Seele und Pflichtgefühl sind in einem Systeme, welches alle unsere Ideen auf Sensationen gründet, gnädige Voraussetzungen; denn keine Sensation offenbart uns die Unsterblichkeit im Tode. Haben äußere Gegenstände allein unser Gewissen gebildet, so verketten die Eindrücke, die wir von dem Augenblick, wo die Amme uns in ihre Arme nimmt, bis zum letzten Akt des höchsten Alters erhalten, sich dergestalt unter einander, daß man den vorgeblichen Willen deshalb nicht anklagen kann; denn dieser ist alsdann nur ein Verhängniß mehr.
    Im zweiten Theile dieses Abschnittes werde ich zeigen, daß die auf den Eigennutz gegründete, von den französischen Schriftstellern des letzten Jahrhunderts so laut und nachdrücklich gepredigte Moral in dem allerinnigsten Zusammenhange steht mit der Metaphysik, die

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