Ueber Deutschland
des siebzehnten besser auf die moralische Freiheit. Jene waren Kämpfer, diese Einsiedler. Unter einer so unumschränkten Regierung, wie die Ludwigs des Vierzehnten war, findet die Unabhängigkeit ihr Asyl nur in der Beschauung; unter den anarchischen Regierungen des abgewichenen Jahrhunderts waren die Schriftsteller von dem Wunsche belebt, die Regierung ihres Landes für die liberalen Grundsätze und Ideen zu gewinnen, zu welchen England ein so schönes Beyspiel gegeben hatte. Die Schriftsteller, welche über das Ziel nicht hinausgegangen sind, müssen als der Achtung ihrer Mitbürger werth betrachtet werden; aber es ist deswegen nicht minder wahr, daß die im siebzehnten Jahrhundert geschriebenen Werke in mannigfaltiger Hinsicht bei weitem philosophischer sind, als die, welche seitdem erschienen. Denn die Philosophie besteht vorzüglich in dem Studium und der Kenntniß unseres intellectuellen Wesens.
Die Philosophen des achtzehnten Jahrhunderts haben sich bei weitem mehr mit der Social-Politik, als mit der ursprünglichen Natur des Menschen beschäftigt; die Philosophen des siebzehnten Jahrhunderts wußten schon dadurch, daß sie religiöser waren, mehr von dem Innern des menschlichen Herzens. Während des Verfalls der französischen Monarchie haben die Philosophen den Gedanken mehr nach außen hin gerichtet; denn sie waren gewohnt, sich seiner als einer Waffe zu bedienen. Die Philosophen unter der Regierung Ludwigs des Vierzehnten legten es mehr auf eine idealische Metaphysik an, weil Andacht ihren Gewohnheiten entsprach und ihnen nöthig war. Wenn das französische Genie den höchsten Grad der Vollkommenheit erreichen sollte, so müßte es von den Schriftstellern des achtzehnten Jahrhunderts seine Fähigkeiten benutzen, und von den Schriftstellern des siebzehnten die Quelle derselben kennen lernen.
Descartes, Pascal und Mallebranche haben mit den Philosophen Deutschlands eine weit größere Aehnlichkeit, als die Schriftsteller des achtzehnten Jahrhunderts; aber Mallebranche und die Deutschen unterscheiden sich darin von einander, daß jener als Glaubens-Artikel giebt, was diese auf wissenschaftliche Theorie zurückführen. Mit dogmatischen Formen sucht der eine zu bekleiden, was die Einbildungskraft ihm einhaucht; denn er fürchtet sich, für exaltirt gehalten zu werden. Die anderen, schreibend am Schlusse eines Jahrhunderts, wo man alles zergliedert hat, wissen, daß sie Enthusiasten sind, und suchen bloß zu beweisen, daß der Enthusiasmus mit der Vernunft in Uebereinstimmung ist.
Wären die Franzosen der metaphysischen Richtung ihrer großen Männer aus dem siebzehnten Jahrhundert gefolgt: so würden sie heut zu Tage gleiche Meinungen mit den deutschen haben; denn Leibnitz ist auf der philosophischen Bahn der natürliche Nachfolger von Descartes und Mallebranche, und Kant der natürliche Nachfolger von Leibnitz.
England hatte auf die Schriftsteller des achtzehnten Jahrhunderts großen Einfluß; die Bewunderung für dieses Reich flößte den Wunsch ein, seine Philosophie und seine Freiheit nach Frankreich zu verpflanzen. Allein Englands Philosophie war nur in Verbindung mit den religiösen Gefühlen der Engländer, und Englands Freiheit nur in Verbindung mit ihrem Gehorsam gegen die Gesetze ohne Gefahr. Im Schooße einer Nation, wo Newton und Clarke den Namen Gottes niemals aussprachen, ohne sich zu verbeugen, konnten metaphysische Systeme, wie irrig sie auch seyn mochten, nie verderblich werden. Das, woran es in Frankreich in jeder Hinsicht fehlt, ist das Gefühl und eine zur Gewohnheit gewordene Achtung; man geht in diesem Lande viel zu schnell von der Forschung, welche aufklären kann, zur Ironie über, die alles in Staub verwandelt.
Man kann, dünkt mich, in Frankreich für das achtzehnte Jahrhundert zwei durchaus verschiedene Epochen feststellen, nehmlich die, wo der Einfluß Englands sich zuerst fühlbar macht, und die, wo die Geister sich in das Zerstören stürzten. Jetzt verwandelte sich die Aufklärung in eine Feuersbrunst, und die Philosophie wurde zu einer rasenden Armide, welche den Pallast in Brand steckt, wo sie bis dahin ihre Zaubereien getrieben hatte.
In der Politik gehört Montesquieu der ersten, Raynal der zweiten Epoche an. In der Religion sind Voltaire's Schriften, welche die Duldung zum Zwecke hatten, von dem Geiste der ersten Hälfte des Jahrhunderts eingegeben; aber seine elende und kindisch eitele Irreligion hat die zweite Hälfte gebrandmarkt. In der Metaphysik tragen Condillac
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