Ueber Deutschland
Funken her? Alle Sensationen bekämpfen ihn, und doch triumphirt er über alle. Wie, wird man sagen, die Endursachen, die Wunder des Universums, der Glanz des Himmels, der unsere Blicke trift – bezeugen sie uns denn nicht die Pracht wie die Güte des Schöpfers? Das Buch der Natur ist widersprechend; man findet darin die Sinnbilder des Guten und des Bösen beinahe in gleichem Verhältniß; und dem ist also, damit der Mensch seine Freiheit unter entgegenstehenden Wahrscheinlichkeiten, unter Befürchtungen und Hoffnungen von beinahe gleicher Stärke übe. Der gestirnte Himmel erscheint uns als der Vorhof der Gottheit; aber alle Uebel und alle Laster der Menschen verdunkeln diese Himmelslichter. Eine bloße Stimme, zwar ohne Wort, aber nicht ohne Harmonie, zwar ohne Stärke, aber unwiderstehlich, verkündigt Gott im Innern unseres Herzens: alles, was wahrhaft schön im Menschen ist, geht hervor aus dem, was er innerlich und in freier Thätigkeit empfindet; jede heroische Handlung wird von der moralischen Freiheit eingehaucht; die Ergebung in den Willen Gottes – eine Handlung, welche alle Sensationen bekämpfen, und welche der Enthusiasmus allein eingiebt – ist so edel und so rein, daß die Engel selbst, wie tugendhaft und frei sie auch gedacht werden mögen, sie dem Menschen beneiden könnten.
Die Metaphysik, welche den Mittelpunkt des Lebens verrückt, indem sie annimmt, sein Antrieb komme von außen, beraubt den Menschen seiner Freiheit und zerstört sich selbst; denn es giebt keine geistige Natur mehr, sobald man sie mit der physischen Natur dergestalt vereinigt, daß man sie nur aus menschlicher Achtung unterscheidet. Diese Metaphysik ist nur dann konsequent, wenn man, wie in Frankreich, den aus Sensationen gegründeten Materialismus und die auf den Eigennutz gestützte Moral daraus herleitet. In England ist die abstrakte Theorie dieses Systems entstanden, aber von ihren Folgerungen hat man keine einzige zugegeben. In Frankreich hat man nicht die Ehre der ersten Entdeckung, wohl aber die der Anwendung gehabt. In Deutschland hat man, seit Leibnitz, das System und seine Folgerungen bestritten; und wahrlich, es ist der aufgeklärten und religiösen Männer aller Nationen würdig, zu untersuchen, ob Grundsätze, deren Ergebnisse so verderblich sind, als unbestreitbare Wahrheiten betrachtet werden können.
Shaftesbury, Hutcheson, Smith, Reid, Dugald Stuart u.s.w. haben die Operationen unseres Verstandes mit einem seltenen Scharfblick studirt, besonders enthalten die Werke Dugald Stuarts eine so vollkommene Theorie der intellektuellen Vermögen, daß man sie, so zu sagen, als eine Naturgeschichte des moralischen Wesens betrachten kann: Jeder Einzelne muß hier einen Theil von sich wiederfinden. Welche Meinung man auch über den Ursprung der Ideen angenommen haben möge, so kann man doch die Nützlichkeit einer Arbeit nicht leugnen, welche den Zweck hat, ihren Gang und ihre Richtung zu untersuchen. Allein mit der Beobachtung des Entwickelungsganges unserer geistigen Vermögen ist nichts gethan; man muß zu der Quelle, derselben aufsteigen, um sich Rechenschaft abzulegen von der Natur und der Unabhängigkeit des Willens im Menschen.
Man kann die Frage, durch welche ausgemittelt werden soll, ob die Seele das Vermögen zu empfinden und zu denken durch sich selbst habe, nicht als müßig betrachten. Es ist die Frage Hamlets: Seyn oder nicht seyn.
————————
Drittes Kapitel. Von der französischen Philosophie.
Einen langen Zeitraum hindurch ist Descartes das Haupt der französischen Philosophie gewesen; und wäre seine Physik nicht für schlecht erkannt worden, so würde seine Metaphysik vielleicht ein dauerhafteres Uebergewicht behauptet haben. Bossuet, Fenelon, Pascal, alle große Männer aus dem Zeitalter Ludwigs des Vierzehnten hatten sich für Descartes Idealismus erklärt, und dieses System paßte zu dem Katholicismus weit besser, als die reine Erfahrungs-Philosophie; denn es scheint ungemein schwierig, den Glauben an die mystischen Dogmen mit der unumschränkten Herrschaft der Sensationen über die Seele zu vereinbaren.
Zu den französischen Metaphysikern, welche sich zu Locke's Lehre bekannt haben, muß man vorzüglich Condillac und Bonnet rechnen. Jenen zwang sein Stand als Priester zu Schonungen gegen die Religion; dieser, von Natur religiös, lebte zu Genf in einem Lande, wo Aufklärung und Frömmigkeit unzertrennlich sind. Beide Philosophen, besonders aber Bonnet, haben zum Vortheil
Weitere Kostenlose Bücher