Ueber Deutschland
genannt habe, erinnert an Platon's Gespräche; und wenn man einen von diesen Männern über irgend einen Gegenstand befragt: so verbreitet er darüber so viel Licht, daß man zum ersten Male zu denken glaubt, wenn denken, wie Spinoza sagt, so viel ist, als sich durch den Verstand mit der Natur identifiziren und mit ihr Eines werden .
In Deutschland läuft seit einigen Jahren eine solche Masse von neuen Ideen über literarische und philosophische Gegenstände um, daß ein Fremder leicht Denjenigen für einen Mann von Genie halten könnte, der diese Ideen nur wiederholt. Es ist mir nicht selten begegnet, daß ich Männer, die im Uebrigen von ganz gemeinem Schlage waren, für außerordentliche Geister gehalten habe, blos weil sie sich mit den idealistischen Systemen, der Morgenröthe eines neuen Lebens, vertraut gemacht hatten. Die Fehler, welche man den Deutschen in der Unterhaltung gewöhnlich zum Vorwurfe macht — Langsamkeit und Pedanterie — sind den Zöglingen der neuen Schule am wenigsten eigen. Personen vom ersten Range haben sich in Deutschland meistentheils nach den guten französischen Manieren gebildet; aber gegenwärtig stellt sich unter den Philosophen, die zugleich Schriftsteller sind, eine Erziehung fest, die, obgleich in einer ganz anderen Act, von gutem Geschmack ist. Man betrachtet darin die wahre Eleganz als unzertrennlich von der poetischen Einbildungskraft und dem Reiz der schönen Künste, und die Artigkeit als gegründet auf die Kenntniß und Würdigung der Talente und des Verdienstes.
Läugnen läßt sich indeß nicht, daß die neuen philosophischen und literarischen Systeme in ihren Anhängern sehr viel Verachtung gegen Diejenigen eingeflößt haben, welche sie nicht fassen. Die französische Spötterei will immer durch das Lächerliche demüthigen; ihre Tactik ist, der Idee auszuweichen, um die Person anzugreifen, und das Wesen zu übersehen, um über die Form zu spötteln. Die Deutschen aus der neuen Schule betrachten die Unwissenheit und Leichtfertigkeit als Krankheiten einer verlängerten Kindheit; sie haben sich nicht darauf beschränkt, die Fremden anzugreifen, sie greifen sich auch unter einander mit Bitterkeit an, und wenn man sie vernimmt: so möchte man sagen, daß in Sachen der Abstraktion und der Gründlichkeit ein Grad mehr das Recht gebe, denjenigen, der nicht dahin gelangen will oder kann, als gemein und beschränkt zu behandeln.
Als Hindernisse die Geister aufreizten, mischte sich die Uebertreibung in diese, sonst so heilsame, philosophische Umwälzung. Mit der Fackel des Genies drangen die Deutschen in das Heiligthum des Gemüths. Als es aber darauf ankam, anderen Köpfen ihre Ideen einzuimpfen, verstanden sie sich schlecht auf die Mittel. Sie fingen an, hochmüthig zu werden, nicht weil ihnen die Wahrheit fremd war, sondern weil es ihnen an der Kunst fehlte, sie vorzutragen. Abschätzigkeit, wenn sie nicht das Laster trift, kündigt immer einen begränzten Geist an; denn mit noch mehr Geist würde man sich selbst gemeinen Seelen verständlich gemacht haben, wenigstens hätte man es mit Treuherzigkeit versucht.
Das Talent, sich methodisch und deutlich auszudrücken, ist in Deutschland sehr selten; die spekulativen Studien geben es nicht. Man muß sich gewissermaßen aus seinen eigenen Gedanken herausversetzen, um über die Form zu urtheilen, die man ihnen zu geben hat. Die Philosophie lehrt den Menschen, nicht die Menschen kennen. Die Gewohnheit des Umgangs giebt uns allein Aufschlüsse über das Verhältniß unseres Geistes zu dem Geiste Anderer. Erst macht die Aufrichtigkeit, dann der Stolz ernste und treuherzige Philosophen zum Unwillen gegen Die geneigt, welche nicht eben so denken und empfinden, wie sie. Gewissenhaft erforschen die Deutschen das Wahre; aber es steckt in ihnen ein glühender Sectengeist für die Lehre, zu welcher sie sich einmal bekennen. Denn in dem Herzen des Menschen verwandelt sich alles in Leidenschaft.
Indeß, trotz den Verschiedenheiten in den Meinungen, welche in Deutschland mehrere, einander entgegengesetzte Schulen bilden, zwecken doch alle darauf ab, die Thätigkeit der Seele zu entwickeln. Auch giebt es kein Land, wo Jeder sich selbst höher ausbringt, wenigstens in Beziehung auf intellectuelle Arbeiten.
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Neuntes Capitel. Einfluß der neuen deutschen Philosophie auf die Literatur und die Künste.
Was ich über die Entwickelung des Geistes bemerkt habe, findet seine Anwendung auch auf die Literatur. Indeß ist es
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