Ueber Deutschland
haben. Es heißt, der Entwickelung einen rohen Anfang geben, wenn man sie unserer animalischen Natur zuschreibt, und die Vernunft bekämpft diese Hypothese, welche die Phantasie verwirft.
Man begreift nicht, auf welchem Stufengange es möglich sey, von dem wilden Schrei zur Vollkommenheit der griechischen Sprache zu gelangen; und man möchte behaupten, daß, bei den zum Durchlaufen dieses unendlichen Abstandes nöthigen Fortschritten ein Abgrund nach dem andern übersprungen werden müsse. In unseren Tagen wiederholen wir die Bemerkung, daß die Wilden sich nie von selbst civilisiren, und daß die benachbarten Nationen ihnen mit großer Mühe beibringen, was sie nicht wissen. Man ist also sehr versucht, zu glauben. daß ein Urvolk das menschliche Geschlecht unterwiesen habe. Wer aber hat dies Urvolk gebildet, wenn es nicht durch eine Offenbarung geschehen ist? Alle Nationen haben zu allen Zeiten ihr Bedauern über den Verlust eines glücklichen Zustandes, der dem gegenwärtigen voranging, an den Tag gelegt. Woher diese so allgemein verbreitete Idee? Will man sagen: dies sey ein Irrthum? Die allgemeine Irrthümer gründen sich immer auf umgewandelte Wahrheiten, die vielleicht entstellt sind, aber Thatsachen zur Grundlage hatten, welche die Nacht der Zeiten bedeckte, oder auch gewisse geheimnisvolle Kräfte der Natur.
Die, welche die Civilisation des menschlichen Geschlechts solchen physischen Bedürfnissen zuschreiben, welche die Menschen unter sich vereinigt haben, werden schwerlich erklären, woher es kommt, daß die moralische Kultur der ältesten Völker poetischer, den schönen Künsten günstiger und in materiellen Beziehungen weit edler nützlich ist, als es die Verfeinerungen der neueren Zivilisation sind. Die Philosophie der Hindus ist idealistisch und ihre Religion mystisch. Wahrlich, nicht das Bedürfniß, die Ordnung der Gesellschaft aufrecht zu erhalten, hat dieser Philosophie und dieser Religion ihre Entstehung gegeben. Die Poesie ist beinahe allenthalben früher da gewesen, als die Prosa, und die Einführung der Sylbenmaaße, des Rhythums, der Harmonie, ist älter als die strenge Bestimmtheit, und folglich als der nützliche Gebrauch der Sprachen. Die Astronomie ist nicht blos studirt worden, um dem Ackerbau zu dienen; die Chaldäer, die Aegytier haben ihre Untersuchungen weit über den praktischen Nutzen hinausgetrieben, der sich davon ziehen ließ, und man glaubt, die Liebe zum Himmel und den Cultus der Zeit in jenen so tiefen und so genauen Beobachtungen über die Eintheilung des Jahres, den Lauf der Gestirne und die Perioden ihres Zusammentreffens zu sehen.
Bei den Chinesen waren die Könige die ersten Astronomen des Landes; sie brachten Nächte mit der Beobachtung des Laufs der Sterne zu, und ihre königliche Würde bestand in diesen schönen Kenntnissen und in diesen uneigennützigen Beschäftigungen, welche sie über den großen Haufen erhoben. Das prächtige System, welches der Civilisation eine religiöse Offenbarung zum Ursprung giebt, stützt sich auf eine Gelehrsamkeit, deren die Anhänger der materialistischen Meinungen selten fähig sind. Um sich gänzlich dem Studium zu widmen, muß man beinahe schon Idealist seyn.
Gewohnt, tief und einsam zu grübeln, dringen die Deutschen so tief in die Wahrheit ein, daß man, wie es mir scheint, ein Unwissender oder ein Thor seyn muß, um eine von ihren Schriften zu verschmähen, ehe man sich lange damit unterhalten hat. Ehemals gab es viele Irrthümer und Wahnbegriffe, welche mit dem Mangel an Kenntnissen in Verbindung standen; allein wenn mit der Aufklärung unserer Zeit und mit unermeßlichen individuellen Arbeiten Meinungen ausgesprochen werden, welche über den Kreis gemeiner Erfahrungen hinausgehen: so muß man sich, um des menschlichen Geschlechtes willen, darüber freuen. Denn sein gegenwärtiger Schatz ist sehr arm, wenigstens wenn man nach dem Gebrauch urtheilt, den es davon macht.
Bei Durchlesung dieser Rechenschaft; die ich von den Haupt-Ideen einiger deutscher Philosophen gegeben habe, werden ihre Anhänger mit Recht bemerken, daß ich sehr wichtige Untersuchungen höchst oberflächlich angedeutet habe. Auf der anderen Seite aber werden Weltmenschen sich selbst die Frage aufwerfen: wozu dies alles diene? Allein, wozu dienen der Apoll von Belvedere,die Gemählde Raphaels, und Racine's Trauerspiele? Wozu dient überhaupt das Schöne, wenn nicht das Gemüth dabei gewinnt? Eben so verhält es sich mit der Philosophie. Sie ist die
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