Ueber Deutschland
ohne Zweck, zuweilen sogar mit einem Luxus, welchen die Anhänger des Nützlichen Verschwendung nennen würden. Es scheint ihr Vergnügen zu machen, den Blumen, den Bäumen der Wälder mehr Glanz zu geben, als den Vegetabilien, welche dem Menschen zur Nahrung dienen. Hätte das Nützliche den ersten Rang in der Natur: so würde sie die nährenden Pflanzen mit größerem Zauber bekleiden, als die Rosen, welche nur schön sind. Und woher kommt es gleichwol, daß man, um den Altar der Gottheit zu schmücken, lieber die unnützen Blumen, als die nothwendigen Erzeugnisse suchen würde, woher, daß alles, was zur Aufrechthaltung unseres Lebens dient, weniger Würde hat, als die zwecklosen Blumen? Daher meine ich, weil das Schöne uns an eine unsterbliche und göttliche Existenz erinnert, deren Andenken und Bedauern zugleich in unserem Herzen leben.
Wahrlich nicht, um den moralischen Werth des Nützlichen zu verkennen, hat Kant das Schöne davon gesondert, sondern um die Bewunderung (ihr Gegenstand sey, welcher er wolle) auf die absolute Uneigennützigkeit zu gründen, um den Gefühlen, welche das Laster unmöglich machen, den Vorzug vor allen den Lehren zu geben, welche auf Verbesserung ausgehen.
Selten hatten die mythologischen Fabeln der Alten den Zweck moralischer Ermahnungen oder erbaulicher Beispiele, und die Modernen suchen ihren Fictionen gar nicht deswegen ein nützliches Resultat zu geben, weil sie besser sind, als jene, sondern vielmehr, weil sie weniger Einbildungskraft haben und auf die Literatur, die mit den Geschäften verbundene Gewohnheit übertragen, immer auf einen Zweck hinzusteuern. Die Ereignisse, wie sie in der Wirklichkeit existiren, werden nicht berechnet, wie eine Fiction, deren Zweck moralisch ist. Das Leben selbst wird auf eine durchaus poetische Weise aufgefaßt: denn nicht deshalb, weil der Schuldige in der Regel bestraft und der Tugendhafte belohnt wird, macht es auf uns einen moralischen Eindruck, sondern weil es in unserem Gemüthe den Unwillen gegen den Schuldigen und den Enthusiasmus für den Tugendhaften entwickelt.
Die Deutschen betrachten nicht, wie es in der Regel geschieht, die Nachahmung der Natur als den Hauptgegenstand der Kunst; nur die ideale Schönheit erscheint ihnen als das Princip aller Meisterwerke, und ihre poetische Theorie ist in dieser Hinsicht im vollkommensten Einverständnisse mit ihrer Philosophie. Der Eindruck, welchen die schönen Künste machen, hat nichts gemein mit dem Vergnügen, welches eine gelungene Nachahmung gewährt; der Mensch hat in seiner Seele angeborne Gefühle, welche reale Gegenstände nie befriedigen werden, und gerade diesen Gefühlen giebt die Einbildungskraft der Maler und Dichter Gestalt und Leben. Die Musik, diese erste von allen Künsten, was ahmt sie denn nach? Und doch ist sie von allen göttlichen Gaben die köstlichste, denn sie scheint, so zu sagen, überflüssig. Die Sonne erleuchtet uns, wir athmen die Luft eines reinen Himmels, alle Schönheiten der Natur dienen auf irgend eine Weise dem Menschen; die Musik allein ist von, einer edlen Unnützlichkeit, und gerade deshalb bewegt sie uns so tief. Je weiter sie von jedem Zwecke entfernt ist, desto mehr nähert sie sich der verborgensten Quelle unserer Gedanken, welche die Anwendung auf irgend einen Gegenstand in ihrem Laufe beschränkt. Die literarische Theorie der Deutschen unterscheidet sich von allen anderen dadurch, daß sie die Schriftsteller nicht tyrannischen Gebräuchen und Beschränkungen unterwirft. Es ist eine durchaus schöpferische Theorie, eine Philosophie der schönen Künste, welche, weit entfernt von allem Zwange, wie Prometheus, das himmlische Feuer zu entwenden sucht, um den Dichtern ein Geschenk damit zu machen. Homer, Dante, Shakespeare — wird man sagen — wußten nichts von dem allen; und brauchten sie diese Metaphysik, um große Schriftsteller zu werden? Unstreitig hat die Natur die Philosophie nicht erwartet, was eben so viel sagen will, als daß die Thatsache der Beobachtung derselben vorangegangen ist; allein, nachdem wir einmal in die Epoche der Theorieen gerathen sind — müssen wir uns nun nicht wenigstens vor solchen in Acht nehmen, die das Talent ersticken können?
Bekennen muß man gleichwol, daß aus diesen, auf die schönen Künste angewendeten philosophischen Systemen einige wesentliche Nachtheile hervorgehen. Die deutschen Leser, welche gewohnt sind, Kant, Fichte u.s.w. zu lesen, betrachten einen geringeren Grad von Dunkelheit als die Klarheit
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