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Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germaine de Staël
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Natur vereinigte.
    Der Spiritualismus hat dadurch, daß er die Macht des Nachdenkens befestigte, den Menschen von den physischen Einflüssen befreit, und die Reformation, in dem sie die Neigung zur Analysis vermehrte, hat die Vernunft gegen die Eindrücke der Einbildungskraft auf ihrer Huth zu seyn gelehrt. Die Deutschen streben nach der wahren Vervollkommnung des Geistes, wenn sie die Eingebungen der Natur durch die Erleuchtungen des Gedankens wieder aufzuwecken suchen.
    Täglich führt die Erfahrung die Gelehrten zur Anerkennung von Phänomenen, an welche man nicht mehr glaubte, weil sie mit abergläubischen Begriffen vermengt waren, und weil man ehemals Vorbedeutungen daraus machte. Die Alten haben erzählt, daß Steine vom Himmel gefallen sind, und in unseren Tagen ist dies Zuverlässigkeit, dieses Factums bestätigt worden, dessen Daseyn man geläugnet hatte. Die Alten haben von Regen, der roch wie Blut sey, und von unterirdischen Gewittern gesprochen, und neuerlich hat man sich von der Wahrheit ihrer Aussage in dieser Hinsicht vergewissert.
    Die Astronomie und die Musik sind die Wissenschaft und die Kunst, welche die Menschen im fernsten Alterthum gekannt haben. Warum sollten die Töne und die Gestirne nicht durch Beziehungen vereinigt seyn, die von den Alten gefühlt worden sind, und die wir wieder auffinden können? Pythayoras hatte behauptet, daß die Planeten unter sich in eben der Entfernung wären, wie die sieben Saiten der Lyra; und man behauptet, daß er die neuen Planeten geahnet habe, welche zwischen Mars und Jupiter entdeckt worden sind [Herr Prevost, Prosessor der Philosophie zu Genf, hat über diesen Gegenstand eine kleine Schrift von großem Interesse herausgegeben. Dieser phllosophische Schriftsteller ist in Europa eben so bekannt, als er in seinem Vaterlande geachtet ist.] . Es scheint, als sey ihm das wahre System des Himmels, die Unbeweglichkeit der Sonne, nicht unbekannt gewesen, weil Copernikus sich in dieser Hinsicht auf seine, im Cicero angeführte, Meinung stützt. Woher doch diese erstaunlichen Entdeckungen ohne die Beihülfe der neuen Erfahrungen und Maschinen, in deren Besitz die neueren sind? Daher, daß die Alten, von der Fackel des Genies geleitet, kühn daher schritten. Sie bedienten sich der Vernunft, auf welcher die Intelligenz des Menschen beruht; aber sie befragten auch die Einbildungskraft, welche die Priesterin der Natur ist.
    Was wir Irrthümer und Wahnbegriffe nennen, hing vielleicht mit Naturgesetzen zusammen, die uns noch unbekannt sind. Die Beziehungen der Planeten mit den Metallen, der Einfluß dieser Beziehungen, die Orakel sogar, und die Vorhersagungen — konnte dies alles nicht unbekannte Kräfte, von welchen wir keine Idee mehr haben, zur Ursache haben? Und wer weiß, ob nicht ein Keim von Wahrheit in allen den fabelhaften Erzählungen, in allen den Glaubenslehren liegt, die man mit dem Namen der Thorheit gebrandmarkt hat? Es folgt daraus keinesweges, daß man auf die Erperimental-Methode, welche den Wissenschaften so nothwendig ist, verzichten müsse. Aber warum sollte man diese Methode nicht zum höchsten Führer einer Philosophie wählen, welche das Universum in seiner Ganzheit umfaßt, und auch die Nachtseite der Natur nicht verachtet, abwartend, daß das Licht auch über diese ausströmen werde?
    Diese Manier, die physische Welt zu betrachten, ist Poesie, wird man sagen; allein, auf eine zuverlässige Weise lernt man sie nur durch die Erfahrung kennen, und alles, was sich nicht mit Beweis verträgt, kann eine Belustigung des Geistes seyn, führt aber nie zu sicheren Fortschritten. Unstreitig haben die Franzosen Recht, wenn sie den Deutschen Achtung für die Erfahrung empfehlen; aber sie haben Unrecht, wenn sie die Ahnungen des Nachdenkens lächerlich machen, die einst durch die Kenntniß der Thatsachen bestätigt werden können. Die meisten großen Entdeckungen haben Anfangs abgeschmackt geschienen, und der Mann von Genie wird niemals etwas leisten, wenn er sich vor dem Spott fürchtet. Dieser ist kraftlos, wenn man ihn verachtet; aber er gewinnt ein niederdrückendes Uebergewicht, wenn man ihn fürchtet. In den Feenmärchen sieht man Phantome, welche sich den Unternehmungen der Ritter widersetzen, und die Ritter so lange quälen, bis sie weiter gegangen sind; dann verschwinden alle Zaubereien, und die fruchtbare Flur stellt sich ihren Blicken dar. Neid und Mittelmäßigkeit üben auch ihre Zaubereien aus; aber man muß auf die Wahrheit losgehen, ohne sich um

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