Ueber Deutschland
die scheinbaren Hindernisse, welche sich darstellen, mehr als nöthig ist, zu bekümmern.
Als Keppler die harmonischen Gesetze der Bewegung der Himmelskörper entdeckt hatte, drückte er seine Freude darüber folgender Gestalt aus: „Endlich, nach achtzehn Monaten, hat ein erster Strahl mich erleuchtet, und an diesem denkwürdigen Tage habe ich zuerst den reinen Glanz erhabener Wahrheiten empfunden. Nichts hält mich jetzt zurück: ich gebe mich meiner heiligen Gluth hin, ich wage der Sterblichen zu spotten, indem ich ihnen bekenne, daß ich mich weltlicher Wissenschaft bedient, daß ich Aegyptens Gefäße geraubt habe, um meinem Gott einen Tempel zu erbauen. Verzeiht man mir, so werd' ich mich freuen; tadelt man mich, so werde ich es ertragen, Geworfen ist das Loos; ich schreibe mein Buch. Es werde von meinen Zeitgenossen, oder von der Nachwelt gelesen, gleichviel. Leicht kann es ein ganzes Jahrhundert einen Leser erwarten, da es Gott selbst sechs tausend Jahre hindurch an einem Beschauer gefehlt hat, wie ich bin." Dieser kühne Ausdruck eines stolzen Enthusiasmus beweiset die innere Kraft des Genies.
Goethe hat über die Vervollkommnungsfähigkeit des menschlichen Geistes ein scharfsinniges Wort gesagt, nemlich: Er schreitet vor, aber auf der Spirallinie. Diese Vergleichung ist um so angemessener, weil er in gewissen Epochen zurückzugehen scheint, und dann mit einem Male wiederkehrt, nachdem er einige Grade mehr gewonnen hat. E< giebt Augenblicke, wo der Skepticismus für die Fortschritte in den Wissenschaften nothwendig ist; es giebt andere, in welchen, nach Hemsterhuis, der Wunderglaube den Sieg über den geometrischen Geist davon tragen muß. Wenn der Mensch durch den Unglauben verzehrt, oder vielmehr zu Staub gemacht ist, dann ist dieser Wunderglaube das Einzige, was dem Gemüthe eine Kraft der Bewunderung zurückgiebt, ohne welche die Natur sich nicht begreifen läßt.
In Deutschland hat die Theorie der Wissenschaften, Wissenschaftslehre genannt, den Geistern denselben Schwung gegeben, welchen die Metaphysik im Studium des Gemüths veranlaßt hatte. In den physischen Phänomenen nimmt das Leben denselben Rang ein, welchen der Wille in der moralischen Ordnung behauptet. Wenn die Beziehungen beider Systeme ihnen das Verbannungsurtheil von gewissen Personen zuziehen: so giebt es Andere, welche in diesen Beziehungen die doppelte Garantie derselben Wahrheit erblicken. So viel ist wenigstens gewiß, daß die anziehende Kraft der Wissenschaften durch diese Manier, sie alle an gewisse Haupt-Ideen anzuknüpfen, ungemein vermehrt worden ist. Die Dichter könnten in den Wissenschaften eine Menge Gedanken für sich finden, wenn sie durch die Philosophie des Universums unter sich in Zusammenhang ständen, und wenn diese Philosophie, anstatt abstrakt zu seyn, durch die unerschöpfliche Quelle des Gefühls belebt wäre. Das Universum hat mehr Aehnlichkeit mit einem Gedicht, als mit einer Maschine; und wenn eine Wahl darüber entschiede, ob man es mit der Einbildungskraft oder mit dem Geiste der Mathematik auffassen sollte: so würde die Einbildungskraft sich der Wahrheit weit mehr nähern. Aber noch einmal, man muß nicht wählen, weil die Totalität unseres moralischen Seyns auf ein so wichtiges Nachgrübeln verwendet werden muß.
Das neue System allgemeiner Physik, welches in Deutschland der Experimental-Physik zum Führer dient, kann nur nach seinen Resultaten beurtheilt werden. Man muß also abwarten, ob es den menschlichen Geist zu neuen und bestätigten Entdeckungen führen werde. Was man nicht läugnen kann, sind die Beziehungen, welche dies System zwischen den verschiedenen Studien-Zweigen feststellt. Man flieht sich gewöhnlich einer den andern, wenn man verschiedene Verrichtungen hat, weil man sich gegenseitig Langeweile macht. Der Gelehrte hat dem Dichter, der Dichter dem Physiker nichts zu sagen, und selbst unter den Anbauern verschiedener Wissenschaften findet gegenseitige Abneigung Statt. Dem kann aber nicht länger so seyn, seitdem eine Central-Philosophie eine Verwandtschaft höherer Art unter den Gedanken stiftet. Die Gelehrten ergründen die Natur mit Hülfe der Einbildungskraft; die Poeten finden in den Wissenschaften die wahren Schönheiten der Natur; und die Unterrichteten sowohl als die Gelehrten bereichern die Dichter, jene durch Zurückerinnerungen, diese durch Analogieen.
Vereinzelt und als fremdes Domän dem Gemüthe dargestellt, ziehen die Wissenschaften, die exaltirten Köpfe nicht an. Die
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