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Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germaine de Staël
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nicht aus Ehrgeiz. In Oestreich hat alles einen so regelmäßigen Gang, daß der Intrigue wenig Raum gelassen wird; und überdieß würden sie in so großen Gesellschaften wenig Spielraum finden. Diese Besuche, diese Zirkel sind erfunden, damit Alle zu einer und derselben Stunde dasselbe thun mögen; man zieht die Langeweile, die man mit seines gleichen theilt, der Unterhaltung vor, die man sich selbst würde schaffen müssen.
    Große Zusammenkünfte, große Mittagstafeln giebt es auch in andern Städten; allein, dort findet man alles vereinigt, was das Land an merkwürdigen Männern aufzuweisen hat, dort wird es leichter, den gewöhnlichen Unterhaltungsformeln zu entgehen, die, in solchen Zirkeln, die Stelle der Verbeugungen beim Eintritt und Abgehen ersetzen, oder vielmehr für eine Fortsetzung derselben in Worten gelten können. Der gesellschaftliche Umgang dient nicht in Oestreich, wie in Frankreich, zur Entwickelung oder Belebung des Geistes; er läßt bloß Geräusch und Lärm im Kopfe zurück. Auch halten sich die geistreichsten Köpfe der Monarchie größtentheils von solchen Gesellschaften fern; diese werden fast ausschließlich von Frauenzimmern besucht, und man muß wirklich über den Geist erstaunen, den sie bei einer so geistlosen Lebensweise entwickeln. Die Fremden wissen den Reiz ihrer Unterhaltung zu schätzen; was man aber am seltensten in den großen Conversationssälen der Hauptstadt von Deutschland antrifft, sind – Deutsche.
    Die Gesellschaft in Wien erhält viel Gefälliges durch die Sicherheit, die Eleganz und das Edle in der Art des Verkehrs, worauf von den Frauen gehalten wird; gleichwohl bleibt noch manches zu sagen, manches zu thun übrig; es fehlt am Interesse an einem Ziel. Man wünschte, daß der morgende Tag nicht wäre, wie der heutige, ohne daß durch diese Abwechselung die Kette der Gemüthsneigungen und Gewohnheiten unterbrochen würde. In dem zurückgezogenen Leben wird die Seele durch Einförmigkeit ruhig; in der großen Welt ermüdet der Geist unter der Bürde der Einförmigkeit.
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Neuntes Capitel. Nachahmung des französischen Geistes.
    Durch die Ausrottung des Feudalgeistes, und des ehemaligen Lebens auf Schlössern und Burgen, die dieser Geist zur Folge hatte, ist bei dem Adel eine große Zeitleere entstanden. Die Lücke mußte ausgefüllt werden; das gesellschaftliche Leben trat ein; und die Franzosen, bekanntlich das erste Volk der Welt in der Kunst zu schwatzen [Causer. Ehemals nannte man dieses in Deutschland kosen; das gleichnamige Wort für causer. Schade, daß der Gebrauch es verstieß, und uns das ausdruckslose schwatzen, plaudern, dafür gab! Causer. ist eigentlich reden um zu reden; causari sine causa (Anm. d. Uebers.)] , machten sich dadurch in Europa zu Herren der Meinung, oder vielmehr zu Herren der Mode, die so leicht die öffentliche Meinung vertritt. Seit Ludwig XIV. setzte die sogenannte schöne Welt des Continents von Europa, Italien und Spanien ausgenommen, ihre Ehre darin, sich den Franzosen nachzubilden. In England giebt es einen beständigen Gegenstand der Unterhaltung, nehmlich das politische Interesse, worin alle und jede ihr besonderes Interesse suchen und finden. Im Süden von Europa giebt es keine Gesellschaften; die schöne Sonne, die schönen Künste, die Liebe füllen dort das Leben aus. In Paris unterhält man sich gewöhnlich über die Literatur, und das sich immer mit neuen Stücken bereichernde Schauspiel, giebt zu witzigen, scharfsinnigen Bemerkungen Anlaß und Stoff. In allen übrigen großen Städten besteht der Hauptinhalt aller Unterhaltungen in Anecdoten, in täglichen Urtheilen und Anmerkungen über diejenigen, welche zur großen Welt gehören. Es ist ein gewöhnliches Gewäsche, nur daß die Namen vornehmer klingen; im Grunde sind es Klatschereien, wie in den niedrigsten Volksklassen: denn bei aller Eleganz der Formen, bei aller Wahl der Ausdrücke, läuft doch alles auf die Chronik von der Nachbarschaft hinaus.
    Der wahrhaft liberale Stoff zur Unterhaltung, sind Ideen und Thatsachen von allgemeinem Interesse. Die zur Gewohnheit gewordene Medisance, weil sie doch einmal die Gedankenleere und die Dürftigkeit des Verstandes in den Gesellschaften zum nothwendigen Bedürfnisse gemacht hat, kann zwar mehr oder weniger durch Herzensgüte gemildert werden, doch nie so sehr, daß man nicht mit jedem Schritte, mit jedem Worte kleine, ärgerliche Anecdoten hören sollte, deren Gesumme, wie das der Fliegen, selbst den

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