Ueber Deutschland
und Wendung.
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[Von der Censur gestrichen.]
Sobald man die Franzosen nachzuahmen sucht, tragen sie über alle und in allem, den Sieg davon.
Die Engländer fürchten sich keinesweges vor dem französischen Spott; sie kehren ihn sogar bisweilen gegen diejenigen um, die sich so gut auf den Gebrauch dieser Waffen verstehen; und weit entfernt, daß die englische Art in Frankreich Mißfallen erregen sollte, wurde sie von den allgemein nachgeahmten Franzosen nachgeahmt, und England war seit langer Zeit Mode in Paris, wie Paris im übrigen Europa Mode war.
Es hängt bloß von den Deutschen ab, sich eine Gesellschaft zu verschaffen, die eben so viel Unterricht gewähren würde, als sie selbst dem Nationalgeschmack und dem Nationalcharacter angemessen wäre. Wien ist die Hauptstadt von Deutschland, die Stadt, wo sich alles, was zum Vergnügen des Lebens gehört, zusammen findet. Wien hätte längst dem deutschen Geist die ersprießlichsten Dienste leisten können, wenn sich die Fremden nicht in den beinahe ausschließlichen Besitz der guten Gesellschaft gesetzt hätten. Aber was geschah? der größte Theil der östreichischen Nation, der sich der französischen Sprache und den französischen Sitten nicht anfügen konnte, zog sich aus der großen Lebenswelt zurück; und so kam es, daß sich dieser Theil der Nation nicht durch den weiblichen Umgang abschliff, zugleich blöde und roh blieb, alles verschmähte, was man gemeinhin durch Grazie versteht, und gleichwohl insgeheim diesen Mangel empfindlich fühlte; so kam es, daß unter dem Vorwand eines militärischen Berufs, ein großer Theil der Nation seine Geistesbildung vernachläßigte, und dabei diesem Berufe selbst nur mit Trägheit nachhing, weil er nie etwas hörte, was ihm den Werth und den Reiz des Ruhms anschaulich gemacht hätte. Man hielt sich für einen ächten Deutschen, sobald man sich von Gesellschaften ausschloß, wo der Ausländer das erste Wort führte, ohne darauf bedacht zu seyn, die Lücke durch andere Gesellschaften auszufüllen, worin Geist und Seele die nothwendige Bildung hätten erhalten können.
Die Polen und Russen machten in Wien die Seele der guten Gesellschaft aus. Dadurch, daß sie bloß französisch sprachen, trugen sie viel zur Verbannung der deutschen Sprache in den höhern Zirkeln bei. Die Polinnen haben ein unendlich verführisches Wesen; sie verbinden orientalische Einbildungskraft mit der Geschmeidigkeit und der Lebhaftigkeit des französischen Geistes. Gleichwohl ist, selbst bei den Völkern slavischen Ursprungs, die unter allen der größten Geschmeidigkeit fähig sind, die Nachahmung der französischen Art zuletzt ermüdend. So lassen sich z. B. die französischen Verse, deren Verfasser Russen oder Polen sind, bei wenigen Ausnahmen, mit den lateinischen Versen des Mittelalters vergleichen. Eine lebende Sprache ist immer in mancher Hinsicht für Ausländer eine todte Sprache. Nichts ist zu gleicher Zeit leichter und schwerer, als französische Verse zu machen. Es ist bloßes Gedächtnißwerk, einen halben Vers mit einem andern Halbverse zu verbinden, der sich dem ersten von selbst anzuschmiegen scheint; aber, um in einer Landessprache poetisch schildern zu können, was man dachte, fühlte, litt und genoß, muß man die Luft dieses Landes eingeathmet haben. Die Ausländer setzen ihre ganze Eigenliebe darin, das Französische fehlerfrei zu sprechen; daher dürfen sie unsere Schriftsteller nicht anders beurtheilen, als sie vor dem Richterstuhle der literarischen Critik beurtheilt werden. Man will sich nicht dem Vorwurfe aussetzen, als verstände man sie nicht; daher lobt man in ihren Werken mehr die Schreibart als die Gedanken, weil die Gedanken das Eigenthum aller Nationen sind, und die Franzosen allein Richter des Styls in ihrer eigenen Sprache seyn können.
So oft man im Auslande auf einen Nationalfranzosen stößt, freut man sich, mit ihm über die französische Literatur ein Gespräch anknüpfen zu können; man fühlt sich wie zu Hause, man unterhält sich, so zu sagen, von häuslichen Geschäften. Nicht so mit einem französirenden Ausländer; ein solcher erlaubt sich keine Meinung, keine Sprachwendung , die nicht den Stempel der Orthodoxie mit sich führe; und nicht selten ist es eine Orthodoxie von ehedem, die er für die Meinung des Tages ansieht. In manchen nordischen Ländern bleibt man noch immer bei den Anecdoten der Regierung Ludwigs XIV. stehen. Man hört Ausländer, die es den Franzosen gern nachthun möchten, und
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