Ueber Deutschland
in ihren jüngern Jahren so viel leiden müssen, daß das fromme Gefühl der Wandelbarkeit aller Dinge im Leben und des Lebens selbst, sie nie, auch nicht auf der höchsten Stufe der menschlichen Größe, verließ. Es giebt unter den Monarchen dieser Erde der Beispiele einer ernsten, festen Frömmigkeit viel; da sie dem Tode allein unterthan sind, so wirkt dessen unwiderstehliche Macht desto mehr auf sie. Bei uns stellen sich die Beschwerden des Lebens zwischen uns und das Grab; für Könige und Fürsten ist alles bis zum Grabe geebnet und leicht; um so sichtbarer winkt es ihnen aus der Ferne entgegen.
Feste sind von Natur geeignet, den Gedanken an das Grab aufzuregen; von jeher fand die Dichtkunst Vergnügen daran, beide Bilder näher zu rücken, und auch das Schicksal ist ein furchtbarer Dichter, der sie nur zu oft mit einander verband.
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Achtes Capitel. Geselliger Umgang in Wien.
Die Reichen und der Adel wohnen nur selten in den Vorstädten von Wien, und man ist darum in dieser Stadt so zusammengedrängt, daß sie mit den Vorzügen einer Residenz die Vortheile einer kleinen Stadt verbindet. Das leichte Zusammentreffen bei allen übrigen Reizen des Reichthums und des Luxus, macht den Umgang sehr angenehm; der Rahmen des geselligen Lebens, wenn ich die Gewohnheiten, die Gebräuche, die Sitten des Umgangs so nennen darf, hat etwas überaus Gefälliges. Im Auslande wird von der strengen Etikette, vom Aristokratenstolz der östreichischen Großen, viel gesprochen; es geschieht ihnen unrecht; in der guten Gesellschaft von Wien herrscht ein einfacher, höflicher und vor allem ein biederer Ton; derselbe Geist der Geselligkeit und Ordnungsliebe, der die öffentlichen Geschäfte leitet, findet sich in den kleinsten Verhältnissen wieder. Man hält sich durch eine Einladung zur Tafel eben so gebunden, als durch höhere Verbindlichkeiten, und jener falsche leichte Ton, der sich über eingeführte Rücksichten hinwegsetzt, und dadurch zu glänzen glaubt, ist hier noch fremd. Gleichwohl ist in den Gesellschaften Wiens, die Absonderung der Großen und der Gelehrten ein Haupt-Uebelstand. Die Großen stoßen keinesweges die Gelehrten von sich; da es aber in Wien der letztern überhaupt nur wenige giebt, da in Wien nur wenig gelesen wird, so lebt jeder in dem Kreise, zu welchem er gehört. Diese Kreise sind in einem Lande, wo allgemeine Ideen und öffentliches Interesse so wenig Eingang finden, schärfer begränzt, als in andern Ländern; und die Absonderung der Classen hat zur Folge, daß es den Gelehrten an Umgangssitte, den Großen bisweilen an Kenntnissen fehlt.
Die abgemessene Höflichkeit – einigermaßen eine Tugend, weil sie mit mancher Aufopferung verknüpft ist – hat in Wien die seltsamsten und langweiligsten Gebräuche eingeführt. Die schöne Welt begiebt sich wöchentlich drei- oder viermal in Masse von einem Gesellschaftssaal in den andern. Es geht Zeit an dem Putztisch verloren; Zeit auf der Straße, ehe man aussteigen, Zeit auf dem Flure, ehe man einsteigen kann; bei Tische gehen drei gute Stunden verloren; und in so zahlreichen Zirkeln ist es geradezu unmöglich, etwas zu hören, was sich über gewöhnliche Unterhaltungsformeln erhöbe. Wer bemerkt nicht in diesem täglichen Zusammentreffen einer ganzen Menschenklasse, eine geschickte Erfindung der Mittelmäßigkeit, die Eigenschaften des Geistes niederzudrücken? Käme es so weit, daß man das Denken als eine Krankheit anzusehen hätte, deren Heilung man einer regelmäßigen Lebensart unterwerfen müßte, so könnte man kein besseres Mittel finden, als eine zugleich rauschende und unschmackhafte Zerstreuung; eine Zerstreuung, die keinen Ideengang, keine Ideenentwickelung gestattet, und die Sprache zu einem Wörterklang verwandelt, zu welchem Menschen, wie Vögel, abgerichtet werden können.
Ich habe in Wien ein Stück aufführen sehen, in welchem Harlekin in einer stattlichen Perücke und einem großen Faltenrock auftrat, sich mit einemmale aus sich selbst herausstahl, Rock und Perücke stehen, sie statt seiner paradieren ließ, und seines Weges ging, um anderswo zu leben. Ich möchte beinahe allen denen, die in den Gesellschaften der großen Welt auftreten müssen, denselben Rath geben. Man besucht sie nicht, um den Gegenstand zu finden, dem man gefallen möchte. In Oestreich beschränken sich die Neigungen auf das Innere der Familien; so streng sind die Sitten, so ruhig das Gemüth. Man besucht diese Gesellschaften ferner
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