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Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germaine de Staël
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die Hofstreitigkeiten der Madame de Montespan und der Mademoiselle de Fontanges mit einer Weitläufigkeit und mit Umständen erzählen, die ermüden müßten, wenn auch von einem Ereigniß von gestern die Rede wäre. Diese kleinliche Lesegelehrsamkeit, dieses eigensinnige Ankleben an einigen allgemein gangbaren Ideen, welches aus der Schwierigkeit entsteht, seinen Vorrath von Zeit zu Zeit zu ergänzen, bringt Langeweile hervor, und wird mit der Zeit dem Lande nachtheilig; denn die wahre Kraft eines Landes besteht in dessen natürlichem Character; und die Nachahmung des Auslandes, sey's worin es wolle, zeugt von einem Mangel an Patriotismus.
    Dem geistreichen Franzosen ist es auf Reisen nicht angenehm, bei fremden Nationen den französischen Geist zu finden. Er sieht es weit lieber, wenn er auf Männer trifft, die mit der individuellen, die National-Originalität verbinden. Die Modehändlerinnen in Frankreich pflegen den Bodensatz ihres Waarenlagers nach den Colonien, nach Deutschland, nach dem Norden zu schicken. Gleichwohl suchen sie sich auf alle mögliche Weise die Nationaltrachten eben dieser Länder zu verschaffen, und stellen sie mit Recht als elegante Nachahmungsmuster auf. Was von der Naturverzierung gilt, gilt ebenfalls vom Geiste. Wir senden ganze Ladungen von Calembourgs, von Vaudevilles ins Ausland, wenn wir ihrer in Frankreich überdrüßig sind; aber in der fremden Literatur liebt der Franzose nur, was nicht französisch, was einheimische Schönheit ist. In der Nachahmung giebt es weder Leben noch Natur, und man könnte im Allgemeinen auf alle diese Aftergeburten des Geistes, auf alle diese Werke französischer Nachahmung, das Lob anwenden, welches, im Ariost, Roland, dem Pferde beilegt, das er hinter sich schleppt: „Mein Pferd, (so heißt dieses Lob) vereinigt alle mögliche gute Eigenschaften; es hat nur einen einzigen Fehler; den, daß es todt ist“!
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Zehntes Kapitel. Von der hochfahrenden Albernheit und der gutmüthigen Mittelmäßigkeit.
    In jedem Lande ist die Ueberlegenheit des Geistes und Gemüths etwas Seltenes, und gerade dadurch bewahrt sie ihre Benennung. Will man also von dem Character einer Nation urtheilen, so muß man die große Masse einer Untersuchung würdigen. Leute von Genie sind immer Landsleute; aber will man den Unterschied zwischen Franzosen und Deutschen genau empfinden, so muß man sich nicht verdrießen lassen, die Menge kennen zu lernen, aus welcher beide Nationen zusammengesetzt sind.
    Ein Franzose hat selbst dann noch was zu sagen, wenn er keine Ideen hat; ein Deutscher hat davon noch immer mehr, als er auszudrücken versteht. Mit einem Franzosen belustigt man sich auch dann noch, wenn er arm an Geist ist; er erzählt alles was er gethan, alles was er gesehen hat, wie gut er von sich selbst denkt, wie Andere ihn gelobt haben, welche große Herren er kennt, welches Glück er noch erwartet. Der Deutsche hingegen hat nichts zu sagen, wenn er nichts denkt, und verwickelt sich leicht in Formen, die, seinen Wünschen nach, zwar artig seyn sollen, aber sowohl Anderen als ihm selbst beschwerlich fallen. In Frankreich ist die Albernheit belebt, aber hochfahrend; sobald man nur die mindeste Aufmerksamkeit von ihr fordert, prahlt sie mit dem Mangel an Fassungsvermögen, und glaubt dem, was sie nicht versteht, durch das Geständniß zu schaden, daß es dunkel sey; und da man in diesem Lande nicht meint, daß der glückliche Erfolg Alles entscheide, so wähnen selbst die Albernen, als Zuschauer, einen Einfluß auf den inneren Werth der Dinge zu haben, wenn sie ihnen ihren Beifall versagen, und sich dadurch ein wichtiges Ansehn geben. In Deutschland hingegen sind die mittelmäßigen Menschen voll guten Willens; es kostet sie keine Schamröthe, sich nicht zu dem Gedanken eines berühmten Schriftstellers erheben zu können, und weit entfernt, sich als Richter zu betrachten, wollen sie nur Schüler werden.
    In Frankreich giebt es über alle Gegenstände so viel fertige Phrasen, daß, mit Hülfe derselben, ein Alberner eine Zeit lang ganz gut spricht, und, augenblicklich wenigstens, wie ein Mann von Verstand aussieht: in Deutschland wird ein Unwissender nicht leicht wagen, seine Meinung mit Vertrauen abzugeben; denn da keine Meinung für unbestreitbar gilt, so kann man auch keine vorbringen, ohne im Vertheidigungsstande zu seyn; weshalb die Mittelmäßigen größtentheils schweigsam sind, und den gesellschaftlichen Verkehr nur mit ihrer liebenswürdigen

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