Ueber Deutschland
entgegensetzten Meinungen nicht Thatsachen zur Stütze? Würde das Für und Wider nicht gleich wahr seyn, wenn das Gewissen nicht die höchste Gewißheit in sich schlösse?
Zwischen den sichtbaren und beinahe gleichen Argumenten, welche die Umstände zu Gunsten des Guten und des Bösen darbieten, in die Mitte gestellt, hat der Mensch, um sich entscheiden zu können, vom Himmel das Gefühl der Pflicht empfangen. Kant sucht zu beweisen, daß dies Gefühl die nothwendige Bedingung unseres moralischen Wesens sey; die Wahrheit, welche allen denen vorhergegangen ist, deren Erkenntniß man durch das Leben erwirbt. Läßt es sich läugnen, daß da« Gewissen unendlich mehr Würde habe, wenn man es als eine angeborne Macht, als wenn man es wie eine durch Erfahrung und Gewohnheit, gleich den übrigen, erworbene Fähigkeit betrachtet? Und gerade hierin übt die idealistische Metaphysik einen großen Einfluß auf das moralische Verhalten des Menschen aus; sie schreibt dieselbe Urkraft dem Begriff von Pflicht, wie dem Begriff von Raum und Zeit bei, und betrachtet beide als unserer Natur inhärirend. Weder über das Eine noch über das Andere gestattet sie einen Zweifel.
Jede Achtung vor sich selbst und vor Anderen muß auf den Verhältnissen gegründet seyn, welche zwischen den Handlungen und dem Pflichtgesetz Statt finden. Und dies Gesetz hat nichts mit dem Bedürfnisse noch Wohlseyn zu schaffen; ja es muß dieses Bedürfnis; sogar nicht selten bekämpfen. Kant geht noch weiter; denn er behauptet, der Tugend erste Wirkung sey, einen edlen Schmerz durch die Opfer zu verursachen, welche sie fordert.
Die Bestimmung des Menschen auf dieser Erde ist nicht die Glückseligkeit, sondern die Vervollkommnung. Vergeblich würde man sich die kindische Spielerei gestatten, daß Vervollkommnung Glückseligkeit sey; denn wir fühlen sehr deutlich den Unterschied zwischen Genüssen und Opfern, und wenn die Sprache dieselben Wörter zur Bezeichnung so ungleicher Begriffe gebrauchen wollte: so würde sich der gesunde Menschenverstand dadurch nicht täuschen lassen.
Nur allzu oft hat man gesagt: die menschliche Natur strebe nach Glückseligkeit. Dies ist ihr unwillkührlicher Instinkt. Aber ihr überlegter Instinkt ist die Tugend. Indem der Schöpfer dem Menschen sehr wenig Einfluß auf seine Glückseligkeit und dafür unzählige Vervollkommmmgsmittel gab, war unstreitig seine Absicht nicht, daß der Gegenstand unseres Lebens ein beinahe unerreichbarer Zweck seyn sollte. Widme alle deine Kräfte dem Bestreben glücklich zu seyn, mäßige deinen Charakter, wenn du kannst, also, daß du jene unbestimmten Verlangen, welche durch nichts befriedigt werden können, ganz und gar nicht empfindest; und trotz allen diesen Veranstaltungen der Selbstheit wirst du krank werden, dein Vermögen einbüssen, den Kerker zum Aufenthalt bekommen, und so wird das ganze Gebäude deiner Bemühungen durch dich selbst über den Haufen fallen.
Hierauf antwortet man: „Ich werde so vorsichtig seyn, mir keine Feinde zu machen."— Gut, du wirst dir keine großmüthigen Unvorsichtigkeiten vorzuwerfen haben; aber man hat bisweilen die am wenigsten Muthigen verfolgt gesehen. — „Ich werde mein Vermögen zusammenhalten, dadurch, daß ich es aufs beste bewirthschafte." — Ich glaube es; allein es giebt allgemeine Unfälle, welche selbst Solche nicht verschonen, die den Grundsatz haben, sich nicht für Andere in Gefahr zu bringen, und Krankheit und Zufälle aller Art verfügen über unser Schicksal gegen unseren Willen. Wie könnte demnach der Zweck unserer moralischen Freiheit das Glück dieses kurzen Lebens seyn, welches Zufall, Leiden, Krankheit und der Tod außer unserer Macht bringen? Nicht so verhält es sich mit der Vervollkommnung. Jeder Tag, jede Stunde, jede Minute kann dazu beitragen. Alle glücklichen und unglücklichen Ereignisse dienen derselben, und, welches auch unsere Lage auf Erden sey, dies Werk hängt lediglich von uns ab.
Kants und Fichte's Moral hat sehr viel Aehnlichkeit mit der der Stoiker. Indeß gestanden die Stoiker den natürlichen Eigenschaften eine größere Herrschaft zu; man findet den römischen Stolz in der Art und Weise, über den Menschen zu urtheilen, wieder. Die Kantianer glauben an das nothwendige und fortdauernde Streben des Willens gegen die bösen Neigungen; sie dulden keine Ausnahmen in dem Gehorsam gegen die Pflicht, und verwerfen alle Entschuldigungen, welche jene Ausnahmen unterstützen wollen.
Kants Meinung über die
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